30.08.2007 – 08.01.2008 Chilenische Kanäle „Zwischen den Fronten“
Ciao Argentinien. Am 30.08. verlassen wir bei leichten südöstlichen Winden und Sonnenschein endgültig Ushuaia. Wir sind völlig überladen mit Diesel (550 Liter), Wasser (400 Liter) und Proviant in Frisch- und Konservenform; die Wasserlinie ist kaum noch zu sehen. Mit im Gepäck sind 2 Segelhandbücher über Alaska (eine Anspielung auf unsere Zukunftspläne?) und ein Kilo frisch gebackenes Brot von unseren französischen Nachbarn „Liledelle“. Abschied von den Winterseglern (bzw. Winterliegern).
Erstaunlich problemlos erreichen wir gegen Abend Puerto Williams. Als wir eine Stunde später den Motor anwerfen, um einem anderen Segelboot Platz zu machen, tut sich nichts. Der Anlasser streikt! Wozu die täglichen Motortests in Ushuaia? Der Anlasser wird noch am selben Abend ausgebaut und zu einer Mini-Hinterhof-Werkstatt gebracht, der einzigen in Puerto Williams. In Sekundenschnelle ist das übliche Bootschaos wiederhergestellt.
Wir haben Glück: Bereits am nächsten Tag ist der betagte Anlasser wieder funktionstüchtig, nachdem ein Schleifkontakt ersetzt wurden. Der Starter lässt uns auf der weiteren Reise nicht mehr im Stich, doch wir sind gewarnt – spätestens in Puerto Montt wird ein neuer Anlasser als Ersatzteil eingekauft.
Ein anderes Segelboot auf unserer Route hatte weniger Glück: Der Anlasser versagte den Dienst in einer einsamen Bucht 100 Seemeilen von der nächsten Stadt entfernt. Es dauerte 2 Wochen, bis ein neues Ersatzteil bestellt und von einem Schiff der Armada vorbeigebracht werden konnte.
Nach zahlreichen zuverlässigen Motorstarts, Chaosbeseitigung und Wetterbeobachtung beantragen wir das Zarpe (Fahrtgenehmigung) für die Reise durch die chilenischen Kanäle von Puerto Williams bis Puerto Montt.
Mit dem ersten Tageslicht starten wir am 03.09. bei perfektem Wind aus Nordost, Sonnenschein und 5°C in den Beagle Kanal Richtung Westen. Nach 60 Seemeilen hat der CQR- Anker in der Caleta Olla nahe des Ventisquero Holanda (Gletscher) seinen ersten Einsatz, neben dem südafrikanischen Segelboot „Wandering Albatros“. Wir bringen eine Leine zum Land aus und fallen nach einem kurzen Landgang erschöpft in die Kojen.
Am nächsten Morgen regnet es. Der Wind nimmt zu und dreht auf West. Bei jeder Böe slippt der Anker. Also raus in den Regen, Leine los und Anker hoch. Immer wieder haben wir trotz sorgfältigstem Einrucken Probleme mit dem allseits hoch gelobten CQR- Anker.
Um weiteren Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu gehen, werden wir auf der weiteren Reise durch die chilenischen Kanäle auf das Prinzip des Tandemankerns umsteigen. Hierzu wird am CQR- Hauptanker eine 10 m lange Ankerkette befestigt, die mit einem weiteren Anker (Danforth 20 kg) verbunden wird. Am Danforth- Anker wird eine 12 m lange Leine befestigt und am anderen Ende mit einer Schwimmboje versehen, so dass man hierüber den Zweitanker später mit dem Bootshaken leicht wieder aufnehmen kann.
Am Nachmittag lässt der Wind leicht nach (der Regen leider nicht) und wir fahren unter Motor in die 12 Seemeilen entfernte Caleta Morning auf der Isla Gordon. Delphine geleiten uns in die Bucht. Unterwegs werden wir von dem herrlichen, unwirklichen Blau des Gletschers „Ventisquero Francia“ verzaubert und fühlen uns wie im Wunderland.
Unsere erste einsame Caleta: Ähnlich dem Einparken in eine Garage fahren wir mit dem Heck nah ans Ufer, setzen beide Anker und bringen 2 Landleinen aus. An der nahe gelegenen Felswand entdecken wir Kormorannester, ein Wasserfall plätschert lieblich den von Bäumen bewachsenen Hügel hinab.
Der Wind zeigt sich am nächsten Morgen von seiner besten Seite und weht leicht aus Südost. Zahlreiche wunderschöne Gletscher der „Cordillera Darwin“ liegen am Wegesrand, die wir gerne näher erkunden würden, doch das gute Wetter mit perfekten östlichen Winden nötigt uns zur Weiterfahrt.
Beim ersten Tageslicht werden Anker und Leinen eingeholt und weiter geht´s durchs Gletscherland bei strahlendem Sonnenschein. Gegen 1600 Uhr steuern wir nach 45 sm die Isla Londonderry, Caleton Silva an. Das Ufer ist gesäumt von einem kleinen Sandstrand, einem Wasserfall und riesigen Muschelbergen.
Schade, dass wir diese frei herumliegenden Köstlichkeiten nicht einfach in den Kochtopf werfen können. Im gesamten Gebiet der chilenischen Kanäle wird vor dem Verzehr von Muscheln gewarnt, die von „marea rocha“ (Rote Tide) befallen sein können. Der Verzehr dieser infizierten Muscheln kann tödlich enden.
Zweimal täglich empfangen wir über SSB (4146 kHz; 0830 und 2030 LT) den sehr detaillierten Wetterbericht und laden zusätzlich per Wetterfax aktuelle Wetterkarten der chilenischen Armada (www.directemar.cl) auf unseren Laptop.
Der nächste Tag bringt nordwestlichen Wind von 15-20 Knoten. Der Canal Ballenero empfängt uns ruppig, doch im Laufe des Tages wird es ruhiger. Die Überquerung der Bahia Desolada ermöglicht uns einen ersten Blick auf den endlosen Pazifik. Nach 30 Seemeilen verzurren wir uns in der Caleta Macias mit 3 Leinen zwischen dem Festland und einer kleinen Insel. Der Anker hat heute frei. Riesige Seesterne sind auf dem Grund durch das klare Wasser zu erkennen. Am Ufer liegt genug trockenes Holz, um ein Lagerfeuer zu entfachen: Bratwurstverzehr und Müllverbrennung.
Der Wetterbericht verheißt am nächsten Morgen leichte, südliche Winde, die uns bei gesetztem Vorsegel durch Canal Brecknock und Canal Occasion schieben. Weite, lange Pazifikwellen empfangen uns am Eingang des Canal Cockburn, der von unzähligen kleinen, kahlen Inseln mit grauen Felsrücken gesäumt wird. An der Isla Clarence finden wir einen wunderschönen, rundum geschützten Ankerplatz mit Märchenland- Idylle. Ein kleiner Bach windet sich durch grüne Moos- und Grasteppiche, in denen Kelpgänse rasten.
Centollas (kleine Königskrabben) tummeln sich im niedrigen Uferwasser.
In einer hoch gelegenen Felswand entdecken wir eine Höhle, die früher ein guter Unterschlupf für die in dieser Region lebenden Alakaluf- Indianer gewesen sein kann.
Beim täglichen Motorcheck entdecken wir, dass die Halterung der Lichtmaschine angebrochen ist und somit der Keilriemen schief sitzt. Da wir kein Schweißgerät besitzen, können wir das Problem erst in der nächsten Stadt beheben. Es bleibt uns nur die regelmäßige Kontrolle, noch lädt die Lichtmaschine. Eine Frage der Zeit, wann der Keilriemen sich verabschiedet.
Am sechsten Tag nehmen wir den kürzesten Weg durch den Canal Acwalisnan und werden gegen 1500 Uhr von der Magellanstraße sehr ruppig in Empfang genommen. 2 Meter hohe und kurze Wellen treffen uns von der Seite, der Strom steht noch gegen an. Mit Motor und gerefftem Klüversegel schlagen wir uns durch auf die andere Seite und erreichen nach insgesamt 45 Meilen erschöpft die Caleta Gallant, benannt nach dem britischen Piraten Thomas Cavendish, der 1578 hier mit seiner Flotte ankerte. Ein historischer Ankerplatz, den1828 Captain Robert Fitz Roy mit der „HMS Beagle“ und 1896 der erste Einhandweltumsegler Joshua Slocum mit seiner „Spray“ ansteuerte – ohne jeglichen Motorantrieb.
Der nächste Tag bringt südöstliche Winde von 10-15 Knoten und Nieselregen. Da wir heute den 15 Meilen langen Paso Ingles, eine Engstelle mit zeitweise starken Tidenströmen durchqueren wollen, starten wir nach Blick in die Tidentabellen erst gegen 1100 Uhr, um den passenden Strom abzuwarten.
Kaum haben wir die Bucht verlassen, wird der Keilriemen heiß. Gas weg, Motordeckel im Cockpit hoch: Die Halterung der Lichtmaschine ist komplett gebrochen, der Keilriemen schlackert, die Lichtmaschine lädt nicht mehr. Mit 3,5 Knoten speed tuckern wir in die nächste Bucht, Bahia Mussel auf der Isla Carlos III. Hier werden regelmäßig Wale gesichtet, doch uns zeigt sich während unseres halbstündigen Notstopps keiner.
In Rekordzeit baut Timo die Lichtmaschine aus und weiter geht es (ohne elektrischen Strom) mit dem Strom durch den Paso Tortuoso. Wir haben noch einen Benzin- Generator an Bord, mit dem wir in der nächsten Ankerbucht, der Caleta Playa Parda Chica, die Batterien laden können.
Im Sauseschritt passieren wir am nächsten Tag bei schiebendem Strom den Faro Felix im Boca Ocidental, dem westlichen Eingang der Magellanstrasse. Über uns liegt eine dunkelgraue Wolkendecke, es ist kalt und ungemütlich. Nieselregen. Kahle, graue Felsen vervollkommnen das Bild der Eintönigkeit. In der Ferne erstreckt sich der weite Pazifik, als wir die Isla Tamar umrunden. Schlagartig lässt der Regen nach und ein Stück blauer Himmel gewährt der Sonne ein freundliches Lächeln. Auf Nimmerwiedersehen Magellanstrasse!
Der Leuchtturmwärter des Faro Fairway winkt uns zu und nimmt per VHF die Daten auf, bevor wir in den Canal Smyth einfahren. Isla Hose in Sicht! Eine schmale Einfahrt führt in eine rundum geschützte, kreisrunde Bucht – Caleta Darde´. 72 Meilen heute, hauptsächlich unter Motor. Uns brummt der Schädel, als der Anker fällt und wir genießen den allabendlichen Landgang. Außer dem Rauschen des Baches herrscht eine friedliche Stille, die unsere Echo-Rufe umso lauter erscheinen lässt. Eine Leine wird noch am Baum befestigt, dann fallen wir rückwärts in die Kojen.
Der nächste Tag führt uns bei nordwestlichen, böigen Winden zu der 50 Seemeilen entfernten Isla Jaime. Zwischen den mit Muscheln überwucherten Felsen am Ufer entzünden wir in der Abenddämmerung ein Lagerfeuer. Später gesellt sich ein Fischer zu uns.
Am nächsten Morgen starten wir mit dem ersten Tageslicht, um mit der passenden Tide die Angostura Kirke zu durchqueren. 3 Engstellen können hier sehr starke Strömungen erzeugen. Das Fischerboot „Primera“, daß uns zuvor über Funk mit Insiderwissen versorgt, macht den Anfang. „Ultima“ tuckert brav hintendrein. Als „Primera“ die letzte Engstelle passiert hat, folgt ein weiterer Funkspruch: alles o.k., ein Knoten Strom gegenan. Wir folgen ohne Probleme und bedanken uns bei unserem Lotsen.
Gegen Abend laufen wir in Puerto Natales ein und finden einen Ankerplatz am nördlichen Ende der Stadt. 450 Seemeilen liegen nun nach 10 Tagen hinter uns.
Puerto Natales bildet mit ca. 19000 Einwohnern die Hauptstadt der Provinz „Ultima Esperanza“ und wurde 1911 als Ausfuhrhafen für Wolle und Fleisch gegründet. Plötzlich befinden wir uns in flacher Pampa- Landschaft, östlich der Anden. Ein beliebtes Ausflugsziel in der Gegend ist der über 180000 Hektar umfassende Nationalpark Torres del Paine, der 1978 von der UNESCO zum Biosphärenreservat erklärt wurde. Gletscher, tiefblaue Seen, reißende Bäche und knorrige Südbuchen prägen hier die Landschaft. Gekrönt wird das Ganze von 15 aus Granit bestehenden Zwei- und Dreitausendern des Gebirgsstocks, der wie eine Fata Morgana aus der patagonischen Grassteppe ragt. In freier Wildbahn lassen sich Nandus, Flamingos, Guanakos, Kondore und „huemules“ (chilenische Hirsche) beobachten.
Wir tanken erst mal voll, räumen das Boot auf, kaufen frischen Proviant ein und bringen die Wäsche zur „lavanderia“. Auch unser amerikanischer Segelkumpan Ken, der 2 Tage nach uns Puerto Williams verließ, trudelt ein. Beide hatten wir perfekte Wetterbedingungen bis hierher, was am Abend mit Bier und Hamburgern gefeiert wird.
2 Tage später starten wir eine Erkundungstour in den Fjord „Ultima Esperanza“. Zu Beginn wird den Eberhards im Estero (Fjord) Eberhard ein Besuch abgestattet.
1896 kam der deutsche Seemann Hermann Eberhard auf der Suche nach Farmland hierher und gründete die Estancia Consuelo. Seine Enkel, 2 Männer in den Vierzigern, begrüßen uns auf deutsch und bieten an, ihre stabile Boje in der Bucht zu benutzen. Die Estancia ist sehr gepflegt, die Zäune in bestem Zustand. Ein paar Häuser liegen wie hingeworfen in einem wunderschönen, ruhigen Tal. Pferde, Kühe und Schafe tummeln sich auf den kargen, grün-gelben, hügeligen Wiesen. Bei ausgedehnten Wanderungen und einer Schlauchboot-Tour entlang des Flusses genießen wir diese Idylle.
Im Zickzack fahren wir auf der Suche nach schönen Ankerbuchten bei blauem Himmel, strahlender Sonne und Windstille durch den Ultima Esperanza Fjord. Bis zum Mittag haben wir einige Buchten ausgekundschaftet, doch sie erweisen sich als zu flach oder zu ungeschützt. Einfache Farmhäuser säumen die Landschaft. Wir werfen noch einen Blick in die Bucht am Rio Serrano, wo uns bereits ein freundlich winkender Ranger zur Kasse bitten will, da dieses Gebiet zum Nationalpark gehört.
Die Gletscher Ventisquero Balmaceda und Serrano liegen zum Greifen nah, direkt daneben befinden sich ein Hostel und die Ranger- Station. Zu viel los hier. Wir fahren noch ein paar Meilen weiter über die Ausflugsboot- Grenze hinweg und wählen für die Nacht eine kreisrunde Bucht mit steil abfallenden Ufern aus, nordöstlich des Lago Azul gelegen. Nachdem wir auf unsere Rufe fünffache Antworten erhalten, geben wir ihr den Namen Bahia Echo.
Ein mächtiger Berg taucht die Bucht am Nachmittag bereits in Schatten.
Während des Ankerns erschreckt uns ein rumpelndes Geräusch im Motorraum: Lichtmaschine und Keilriemen sind abgeflogen. Die Halterung ist gebrochen und muss in Puerto Natales geschweißt werden. Also werfen wir zum Laden der Batterien in der herrlichen Stille den Benzin- Generator an.
Am Montag geht es zurück in die Zivilisation. Unsere Motivation bezüglich der Lichtmaschinen- Reparatur erhält am nächsten Tag jedoch einen Dämpfer – Dia de Fiesta (Feiertag): Am 18.09. Dia de Patria (Unabhängigkeitstag), am 19.09. Dia de Armas (Tag der Streitkräfte). Alle Läden und Schweißer- Werkstätten geschlossen. Nach vielem Gerenne öffnet uns am 19.09. eine Hinterhofwerkstatt ihre Tore und der Mechaniker schweißt uns aus Mitleid die Halterung zusammen. Bezahlung: Eine Flasche Bier.
So stehen wir am frühen Morgen des 20.09. bereits wieder in den Startlöchern und rauschen mit 7 Knoten und Delfinbegleitung erneut durch die Angostura Kirke. Für den Abend Sturmwarnung, noch ist es ruhig.
Unterwegs werden wir per Funk von einem Patrouillen- Boot der Armada kontrolliert. Voraus braut sich etwas zusammen: dicke, schwarze Regenwolken türmen sich auf, der Wind weht böig aus Nordwest. Nach 60 Seemeilen verkriechen wir uns in die Caleta Victoria. Eine Stunde später brechen Wind und Regen über uns herein.
Bei Regen und Nordwest- Wind bis 20 Knoten schippern wir am nächsten Tag durch den navigatorisch nicht besonders anspruchsvollen Canal Sarmiento - breit, gerade und langweilig. Die dem offenen Pazifik zugewandten Bergrücken sind kahl und grau wie Elefantenrücken, die Berggipfel teilweise mit Schnee bedeckt.
Nachmittags treffen wir die Fähre „Puerto Eden“ der Navimag, die freundlicherweise unsere Position an die nächste Armadastation weitergibt. Nach 46 Seemeilen landen wir in einem lieblichen, von zahlreichen Bäumen gesäumten Fjord und ankern in der Caleta Damien. Die Temperaturen bewegen sich zwischen 2°C nachts und 9°C tagsüber.
Die nächste Tagesetappe von 54 Meilen führt weiter durch den Canal Sarmiento entlang der Isla Hannover, deren höchste Erhebung 1200 m misst. Wir passieren die trudel und Verwirbelungen der Engstelle Angostura Guia, um in den Canal Innocentes zu gelangen. Die See wird offener und ruppiger, so dass wir froh sind, gegen Abend die Isla Robert, Caleta Los Hermanos Moglia, zu erreichen.
Wie geschützt diese Bucht ist, bemerken wir erst, als wir sie am nächsten Morgen verlassen. Wind gegenan, wir kommen kaum vorwärts. Die steilen Wellen schaukeln uns durch. Wir denken schon darüber nach umzudrehen, als wir auf der Seekarte eine in den Handbüchern nicht verzeichnete Bucht ausmachen. Eine namenlose Bucht auf der Isla Figueroa. Wir tasten uns langsam in die Bucht hinein, starke Windböen treffen uns seitlich. Schwarz- weiße, große Delfine schwimmen voraus und zeigen somit, dass es hier auch für unser Boot tief genug ist.
Voraus ein paar kleine Inselchen mit gerade stehenden Bäumen und ruhigem Wasser. Ganz langsam, mit Blick auf den Tiefenmesser, schieben wir uns zwischen den Inseln hindurch. Der Anker fällt und 2 Leinen werden zum Heck an Land ausgebracht. Wie schön und ruhig es hier plötzlich ist. Der Rückwärtsgang streikt plötzlich. Eine Schraube am Ganghebel in der tiefsten Ecke der Backskiste hat sich gelöst, also wird (mal wieder) alles ausgeräumt, um überhaupt dran zu kommen. Der Schaden ist schnell behoben.
Wir beschließen, diese kleine Bucht nach Timo´s vor einigen Wochen verstorbenen Onkel aus Finnland zu benennen: Caleta Petteri. Dies ist der ideale Platz für ein Lagerfeuer und Grillwürstchen. Trockenes Holz liegt genug herum. Des Alakaluf- Indianers (Timo) Lieblingsbeschäftigung.
Nächster Tag: Sturmfrei. Ein dickes Tief rückt an, der Wetterbericht spricht von Temporal (Sturm), der uns einen Strich durch die Rechnung macht und uns noch länger auf dieser wundersamen Insel verweilen lässt. Wir bringen eine weitere Leine zu einer kleinen Felsinsel am Bug aus und sitzen nun wie die Spinne im Netz, auf besseres Wetter lauernd.
Aus einem Tag werden 5 Tage. Unser Ami- Freund Ken hängt mit seiner Segelyacht „Spindrift“ 5 Meilen weiter südlich auf der Isla Robert fest. Kondore schweben über der Bucht, ein Biber raschelt allabendlich am Ufer entlang und beäugt neugierig die Feuer machenden Fremden. Der undurchdringliche Dschungel gibt kaum einen Blick ins Innere der Insel preis. Bei einem Erkundungsversuch versinkt Sandra bis zum Bauch in Moos und Dornengestrüpp und verzichtet auf einen intensiveren Inselkontakt. Riesen- Spinnen lauern überall.
Am 27.09. wagen wir am frühen Nachmittag einen Startversuch. Je weiter nördlich wir kommen, desto eher entwischen wir der Tiefdruckzone. Am Morgen weht der Wind noch aus NW mit 30 Knoten, doch später tut sich eine Lücke zwischen zwei Tiefs auf, die wir nutzen können. Nieselregen. Leinen los, Anker auf. Volle Kraft voraus. Die Wellen laufen kreuz und quer, aber immerhin ist der Strom auf unserer Seite und schiebt uns durch den Canal Coception. Nach 24 Meilen erreichen wir durchnässt die Isla Topar – Caleta Neruda, eine verwunschene Bucht mit einem Flusstal und verlassenen Fischercamps am Ufer.
Das Barometer sinkt stetig, der Wind pustet weiter aus Nordwest und genehmigt uns am nächsten Tag ganze 3 Stunden Motorfahrt und 15 Meilen bis zu dem sehr geschützten Ankerplatz in einer malerischen Bucht der Isla Wellington: Estero Dock. 2 Eisvögel heißen uns an der sehr schmalen, von Steinen gesäumten Einfahrt willkommen.
Die Sonne kommt hervor und lädt zu einer Entdeckungstour mit dem Schlauchboot bis zu einer über Steinplatten rauschenden Flussmündung ein. Zahllose Wasserfälle schlängeln sich die steilen, bewaldeten Berghänge herab und versickern zwischen den Baumwurzeln. Einer eignet sich bestens zum Wasserholen und wir füllen die Kanister auf. Klitschnass aber zufrieden genießen wir das frische, eiskalte Quellwasser. 2 Stunden später brodelt draußen vor der Haustür das Wasser des Canal Wide, hier drinnen hingegen ist es herrlich ruhig und wunderschön. Der Anker hält bombenfest, Landleinen sind nicht notwendig. Wir nutzen den Rest des Tages zum Brotbacken, Durchlüften und Aufräumen.
Auf Sonne folgt Regen. Am Morgen wagen wir einen Versuch, weiterzukommen. Nach 5 nm geben wir auf und verziehen uns am frühen Vormittag in die Caleta Refugio mit gutem Blick auf den Canal Wide und seine Whitecaps.
Nachdem wir uns aufgewärmt und abgetrocknet haben, wagen wir nachmittags einen zweiten Versuch. Doch der Schein im Schutz der Bucht trügt und der Wind nimmt weiter zu, also steuern wir bereits nach 5 Meilen die nächste Bucht, Caleta Sandy, an. Mit einer Landleine sichern wir uns zusätzlich an einem Felsbrocken. Von draußen dringt viel Schwell in die Bucht, so dass Sandra die böige Nacht im Sitzschlaf verbringt, während Timo selig schlummert.
Der nächste Tag bringt nordwestlichen Wind von 30–35 Knoten (in Böen mehr) und starken Regen, Barometerstand 993 hPa, das wird heute nichts. Statt dessen bringen wir noch 2 zusätzliche Leinen aus (damit Sandra ruhig schlafen kann).
Am 01.10. passieren wir die Kanäle Icy und Grappler, bis der Wind uns nach 25 nm zurückpfeift. Stopp in Caleta Maria Stella. Nach einer Bratwurstpause wird Timo aber schon wieder unruhig („es wird ruhiger draußen“). Sandra traut dem Braten nicht („die Wolken ziehen schnell“).
Also gut, Anker auf! Fiese Wellen und Maximalgeschwindigkeit von 3.5 Knoten. Nach 2 weiteren Meilen sieht auch der Kapitän ein, dass da nichts zu machen ist. Wir kehren ein in der Caleta Grau und ziehen das Heck mit 2 Landleinen in die geschützte Flussmündung. Später trudeln noch 2 Kajakfahrer ein und schlagen ihr Zelt bei prasselndem Regen neben uns auf. Da haben wir es doch gemütlicher.
Die 14 Meilen bis Puerto Eden schaffen wir in knapp 4 Stunden, nachdem wir die Engstellen Paso del Indio und Paso Oriental durchquert haben. Nieselregen, Nebel, Barometer steigt. 800 Seemeilen in 30 Tagen liegen hinter uns.
Erster Halt bei der Armada – Boje zwecks Papierkram, dann suchen wir uns einen Ankerplatz in der Bucht des 250-Seelen-Dorfes. Ein faszinierender Ort, in dem die Zeit stillzustehen scheint.
Keine Autos, keine Verbindung zur Außenwelt außer der zweimal wöchentlich eintreffenden Navimag- Fähre. Eine Schule, ein Kindergarten, eine Kirche, ein Aussichtspunkt (Mirador), 3 Tante-Emma-Läden. Die Menschen, hauptsächlich Fischer-Familien, begegnen uns sehr freundlich und freuen sich scheinbar über die Abwechslung. Anstatt einer Hauptstraße führt ein gepflegter aber bei Regen sehr rutschiger Holzsteg am Ufer der Bucht entlang und verbindet die Häuser miteinander.
Die einzige Internet-Möglichkeit in der Bibliothek der Schule hat bis auf weiteres dicht. Macht aber nichts, denn wir sitzen am nächsten Tag mal wieder bei Sturm auf dem Boot fest. Mehr als 40 Knoten aus Nord. Es klappert und pfeift, der Wind brüllt wütend sein Lied. Zweimal slippen die Anker. Als wir das erste Mal den Tandem- Anker und die 50 Meter Kette aufholen, hat sich eine grobe Plastikplane um den Anker gewickelt, beim zweiten Mal fanden wir eine um den Anker gewickelte Leine.
Als wir dann endlich mal an Land paddeln können (der Außenborder hat sich unbezahlten Urlaub genommen), wartet die nächste Überraschung: Stromausfall im ganzen Dorf. Kein Licht, kein Internet. Wetter weiterhin schlecht („frontal, mal tiempo“), der Hafen wird gesperrt, keiner kommt raus.
Am 05.10. heißt es in der Vorhersage „anticiclonico, buen tiempo“. Hochdrucklage, voraussichtlich für mehrere Tage. Also los, der Golfo de Penas ist nicht mehr weit. Wir machen noch einen Abstecher zur Gletscherzunge am Ende des 12 Meilen langen Seno Iceberg. Der in den Zentralanden liegende Gletscher ist Teil des größten zusammenhängenden Eisfeldes jenseits der Polkappen, des Campo de Hielo Sur bzw. Hielo Continental Sur.
Leider ist der Himmel bedeckt und es beginnt zu regnen, als wir am Nachmittag den Gletscher erreichen. Unwirklich blau schimmerndes, uraltes Eis leuchtet uns entgegen, bizarr geformte Eisberge treiben durch das milchig-grüne Wasser und schaben am Bootsrumpf entlang.
Wir übernachten in einer durch die Insel Eliseo geschützten Bucht in der Mitte des Seno Iceberg. Da diese wunderschöne, von über 1000 m hohen Bergen umrahmte Bucht in den Karten und Handbüchern nicht näher bezeichnet wird, taufen wir sie zu Ehren unseres Neffen in Hannover auf den Namen „Bahia Elias“.
Laut aktuellem Wetterbericht hält sich das Hochdruckgebiet mit südlichen Winden, das ist unsere Chance. Andere Segelboote haben bis zu 20 Tagen auf eine Wetterlücke warten müssen. Wir geben Gas und erreichen bei Sonnenuntergang den Golfo de Penas (Golf der Leiden).
Entgegen der Vorhersage weht der Wind aus nordwestlicher Richtung mit ca. 15 Knoten, so dass wir kaum segeln können. Der elektrische Autopilot steuert seit ein paar Tagen Kreise, also steuern wir abwechselnd per Hand. Bei Wind gegenan und Motorfahrt nützt uns die mechanische Windsteueranlage nichts.
Der Pazifik zeigt, was er kann und lässt uns auf seinen mächtigen Wellen tanzen. Die Halterung der Lichtmaschine hat dem Geschaukel nicht standgehalten, so dass sich der Keilriemen nun endgültig in seine faserigen Bestandteile auflöst. Also brummt mal wieder der Benzin-Generator auf dem Vordeck.
Am Nachmittag des nächsten Tages erreichen wir nach einer holprigen Überfahrt und 180 nm die von einem weißen Sandstrand gesäumte Caleta Cliff. Hier wird erstmal ausgeschlafen und voll getankt.
Endlich sind die vorhergesagten, südlichen Winde mit bis zu 30 Knoten eingetroffen und schieben uns mit dreifach gerefftem Großsegel und Klüver durch die Bahia Anna Pink wieder hinein in den Schutz der Kanäle. Blauer Himmel und Sonnenschein bei 7°C.
Wir quartieren uns nach 57 Meilen für eine Nacht neben Lachsfarmen in der Caleta Giuanin ein. Canal Pulluche, Canal Chacabuco, Canal Errazuriz. 55 Seemeilen bei herrlichem Sonnenschein und leichtem Ostwind auf die Nase, bevor wir im Flusstal des Rio Humus einen Urlaubsnachmittag verbringen.
Sandra stürzt sich kurz in die kalten Fluten, während Timo von heißen Thermalquellen träumt. Das trifft sich gut, denn für den nächsten Tag stehen die „Termas de chilconal“ im Seno Aysen auf dem Programm.
Unterwegs im Canal Moraleda segeln wir eine Stunde auf gleicher Höhe mit Ken, der sich dann in Richtung Norden verabschiedet. Wir erreichen unser privates Natur- Thermalbad gegen 1500 Uhr bei Windstille und strahlendem Sonnenschein.
Ein Wasserfall fließt über heißes Vulkangestein und erwärmt sich. Es dampft schon von weitem. Voller Vorfreude werfen wir den Anker auf 20 Meter Wassertiefe direkt am felsigen Ufer und springen mit Handtuch und Badeschaum bewaffnet ins Beiboot.
Die Steine sind an manche Stellen so heiß, dass man sich die Füße verbrennt. Kein Mensch weit und breit, kein Bademeister, keine Kassiererin. Das Wasser schmeckt nach Schwefel und Bad Ems. Ein unvergessliches Erlebnis.
Im Seno Aysen prägen Vulkane und dicht an dicht stehende Lachsfarmen die Landschaft. Insgesamt 130 aktive Vulkane säumen in Chile die Andenkordillere zwischen Atacamawüste und Feuerland. Vor einigen Monaten hat ein Erdrutsch eine Tsunami- Welle ausgelöst, die einige Menschen das Leben gekostet hat. An der Uferböschung ein weißes Holzkreuz – zum Gedenken der hier verunglückten Arbeitern auf einer Lachsfarm. Auf einem Vulkan ist eine Bahn von getrocknetem, dunkelem Magma zu sehen. Unheimliche, faszinierende Landschaft. Wir übernachten in der nahe gelegenen, schattigen Caleta Gato, umgeben von dichtem Urwald.
Die Landschaft verändert sich, als wir nach Puerto Chacabucco kommen. Saftig grüne Wiesen voller Kühe, riesige Nadelbäume, schneebedeckte Berggipfel, gepflegte kleine Holzhäuschen. Wir ankern in der sehr flachen, nur bei Hochwasser zugänglichen „Ensenada Baja“ zwischen Lachsfarmen. Der kleine Ort ist überschaubar. Armada, Feuerwehr, Tankstelle, Fischfabrik, eine handvoll kleiner Läden.
Die nach einer fünfzehnminütigen Busfahrt zu erreichende, nicht besonders reizvolle Stadt Puerto Aysen hat mehr zu bieten: Supermarkt, Banken, Post, Krankenhaus, Ferreterias, Internet.
Ab dem 13.10. pustet uns der Wind fünf Tage lang fast ununterbrochen mit bis zu 40 Knoten aus westlicher Richtung um die Ohren. Frontal, frontal, frontal; täglich Sturmwarnungen, der Hafen wird von der Armada über Funk geschlossen, keine Chance, auszubüchsen; wir sitzen fest.
Wieder mal slippt bei starken Böen und Regen der Tandemanker - inzwischen haben wir Übung. Die Arbeitsklamotten stehen bereit: Gummihose, Gummistiefel, Mütze, warmer Pullover. Dummerweise war Timo gerade dabei, das Relais der Ankerwinde auszutauschen, also rutschen wir noch 10 Minuten über den Grund, bevor die Kette eingeholt werden kann. Der Außenborder zeigt weiterhin keinen Arbeitswillen, so dass der Landgang per Paddel zur langwierigen bis unmöglichen Tortour wird.
Inzwischen sind unser britischer Segelkumpan Roger und sein Begleiter Felipe mit der Segelyacht „Orbit“ eingetroffen. Ein erstes, freudiges Wiedersehen seit unserem Winterquartier Puerto Williams.
3 Tagen lang können wir nicht mehr an Land. Windböen fegen ohne Unterlass über die Bucht, Dauerregen. In Ermangelung frischer Eier backt Timo Sandra zum Geburtstag ein Schoko-Brot. Die geladenen Geburtstagsgäste Roger und Felipe sitzen ebenfalls auf ihrem Boot fest. Sauwetter und Sturmwarnung. Ankerwache im Sitzschlaf.
Dieser Geburtstag ist buchstäblich ins Wasser gefallen. Vielleicht hat Timo drei Tage später ja mehr Glück? Weit gefehlt: Frontal, Sturmwarnung und Nieselregen. Hafen geschlossen. Das Beiboot wird an deck festgezurrt. Roger und Felipe gratulieren Timo in 20 Meter Entfernung per Funk.
Als wir aus dem Fenster sehen, slippt bei Nieselregen und Sturmböen „Orbit“ mit ihrem „80-Pound-Anker“ an uns vorbei…
Der erste halbwegs ruhige Tag am 25.10. Nördliche Winde zwischen 15-25 Knoten, Regen, Barometer sinkt schon wieder Nichts wie weg aus diesem Wind-Loch. Seno Aysen, Puerto Aguirre, Canal Ferronave. Nach 50 nm erreichen wir die Caleta Olea auf der Isla Oreste. Riesige,
leuchtend rote Seesterne, gepanzerte Centollas (Königskrabben) und Heerscharen von Muscheln und schwarz- weiß schillernden Schnecken regieren die von dichtem Urwald umgebene Bucht.
Wetterbericht am nächsten Morgen: frontal, starker Nordwind. Trotzdem wagen wir einen Startversuch, aber kaum heraus aus dem Landschutz der Insel, werden wir eines besseren belehrt: Nord 30 – 35 Knoten. Keine Chance gegen Wind und Wellen. Rückzug. Regen. Und ein weiterer Tag in der Caleta Olea. Zeit für eine Urwaldexpedition. Ein verlassenes Fischercamp im dichten Gestrüpp. Vögel aller Größen hüpfen durch die Baumkronen, in der Luft schwebende Kondore, Riesenfarne und rot blühende Sträucher, dichtes Seegras, ein Bach plätschert über dicken, grauen Lehmgrund. Dicke Spinnen lauern in ihren Netzen. Ein Biber spielt mit unserer Ankerboje im Wasser und zieht mit beiden Pfoten daran. Leben im Überfluss. Warten.
Wetterbericht: Prefrontal a frontal. Wir wollen versuchen, den breiten Canal Moraleda zu überqueren und uns im Schutz der westlichen Kanäle weiter nach Norden zu schlagen. Regenschauer und Windböen sind unsere Begleiter.
Als wir den nach Westen zum Pazifik offenen Canal Ninulac überqueren, wird es extrem ruppig bei nordwestlichem Wind von 30-35 Knoten, aber wir kommen vorwärts.
Eine Abkürzung durch ein Gewirr von Inseln bietet vorübergehend Schutz, bis wir schließlich eine sichere Ankerbucht auf der Isla Canal erreichen. 2 Anker, 1 Landleine an Baum, eine an Stein; das muss reichen. Wie fast immer, ein kleiner Bach vor der Haustür.
Puerto Montt Radio sendet: “Mal tiempo, prefrontal a frontal, temporal (Sturm)“. Ruhetag.
Der Benzin- Generator streikt, ein Reparaturversuch schlägt fehl. Immerhin lädt das Solar – Paneel mit 1 Ampere.
Sonntag, 28.10.2007. Wind aus NW 20-25 Knoten. Im Canal Perez Sur funken wir einen Frachter an, der unsere aktuelle Position an die nächste Armadastation weitergibt.
Eine Abkürzung über zwei Sandbänke durch den Canal Skorpios führt uns zum Canal Perez Norte. Gegen Abend suchen wir uns auf der Isla Concoto eine kleine, vor Nordwinden geschützte Bucht und parken rückwärts zwischen 2 Felswänden ein. Eine Landschaft wie in den schwedischen Schären. Das wird dann wohl die „Caleta Ultima“. Im Beiboot umrunden wir die kleinen Inselchen und beobachten Seesterne.
Pünktlich zum Sonnenuntergang dreht der Wind plötzlich auf Süd. Noch weht er nur leicht, doch sollte er zunehmen, käme Schwell in die Bucht und wir würden auf die Felsen gedrückt. Sicherheit geht vor, also lösen wir schweren Herzens beim allerletzten Tageslicht die Leinen an Heck und Bug, was bereits bei wenig Wind einige Mühen bereitet.
Nachts wollen wir keine andere Bucht ansteuern, also tasten wir uns im Dunkeln in Schrittgeschwindigkeit Richtung Nordosten bis zum Canal Moraleda vor. Aufgrund der halbwegs günstigen Wetterprognose („inestable“ - zwischen den Fronten) und der schwindenden Energiereserven entschließen wir uns, heute Nacht den zum Pazifik hin offenen ca. 30 sm breiten Boca de Guafo zu überqueren. Der Wind hat inzwischen wieder auf Nordwest gedreht, also muss der Motor schuften. Nur wenige Fischer begegnen uns. Über den Golfo de Corcovado gelangen wir am Vormittag in die geschützten Gewässer der verwunschenen Insel Chiloe. Die letzten Meilen ziehen sich dahin, gegen den Strom, bis wir Quellon, die südlichste Stadt der Insel erreichen.
Wir ankern am westlichen Ende der Stadt, wobei der Tidenhub von ca. 5 Metern zu beachten ist.
Quellon, eine lebendige Stadt mit 8000 Einwohnern, ist ein bedeutender Fischerei – Hafen. 4 Tage bleiben wir in der Stadt, um unsere Energieprobleme zu lösen. Inzwischen ist auch Ken mit „Spindrift“ eingetrudelt, der während unserem Chacabuco – Abenteuer 3 Wochen auf der Isla Clotilde südlich des Boca de Guafo festsaß. In der letzten Nacht hatten wir ihn wieder eingeholt.
Bei leichtem Nordwind machen wir uns gemeinsam mit Ken auf den Weg zum 30 Meilen entfernten Estero Pailad. Dieser Ausläufer des Canal Queilen liegt sehr ruhig und geschützt in einer hügeligen Wiesen- Landschaft. Wir machen an einer Mooringboje fest, umgeben von Schafen, Kühen, Schwarzhals-Schwänen, kleinen Holzhäuschen, ein paar Lachsfarmen und einer seit Jahrzehnten verfallenen Mühle.
Idylle pur, wenn da nicht der zahnlose Wurzelzwerg Hector wäre, der uns sogleich mit seinem alten Ruderkahn überfällt. Ehe wir uns versehen, sitzt er bereits unter Deck am Tisch, während wir noch den alten Kahn festmachen und erzählt in unverständlichem, rasend schnellen spanisch seine Lebensgeschichte, bevor er zum eigentlichen Grund seines Besuches kommt: Der Pfand für die Mooring ist, wie uns bereits erfahrene Segler berichteten, ein Tetrapack Wein für Senor Hektor. Zudem interessiert er sich brennend für Sandra´ s bereits ausgemusterten, durchlöcherten Gummistiefel (Industria Argentina).
Wir sind mit den Nerven fertig und Hektor ist glücklich, als er sein voll beladenes Ruderboot nach einer Stunde zur nächsten Mooring katapultiert: Die „Spindrift“ ist sein nächstes Opfer. Er sitzt bereits unter Deck am Tisch, während Ken noch den alten Kahn festmacht...
Ein guter Grund, gleich am nächsten Morgen die Leine los zu werfen. Den Vorschlag Hektors, unter seiner Führung die verfallene Mühle zu besichtigen, lehnen wir dankend ab. 40 Meilen bis Castro.
Ursprünglich wollten wir in der kleinen Marina Quinched am Eingang des Estero Castro einkehren. Der Besitzer klärt uns über seine Preisvorstellungen auf: Eine Nacht an der Mooring ohne Strom und Wasser 8500 Pesos (ca. 12 €). In der Großstadt Puerto Montt liegen die Preise für einen Liegeplatz am Steg bei 2500 Pesos (3.5 €). Eine Busverbindung nach Castro gibt es nicht. Was liegt näher, als direkt mit dem Boot die paar Meilen nach Castro zu segeln, wo wir völlig umsonst und viel windgeschützter ankern können.
Das 1567 gegründete Castro ist mit 35000 Einwohnern die Hauptstadt der Regeninsel und eine der ältesten Städte des Landes. Die windschiefen Häuser am Ufer stehen auf Pfahlbauten, den „palafitos“, in denen manche Chiloten bis heute ohne sanitäre Einrichtungen leben. Sie schützen ihre Bewohner vor den großen Gezeitensprüngen an dieser Küste. Durch das Erdbeben im Jahr 1960 wurden alle Häfen, Brücken und Häuser in Küstennähe zerstört. Ein Kunsthandwerkermarkt lockt mit unzähligen Ständen. Das Stadtbild prägt eine von Franziskaner Mönchen erbaute Holz – Kathedrale, die dringend einen Anstrich nötig hat.
Die Menschen wirken sehr ärmlich und einfach. Viele betteln und schlagen ihre Arbeitslosigkeit in der Hafengegend tot. Im Umland werden die Felder mit Ochsengespannen gepflügt. Jugendliche packen in den Supermärkten die Waren in Tüten - chilenische ABM? Widersprüchliche Eindrücke.
Letzte Station vor Puerto Montt: Isla Mechuque. Ein hübscher kleiner Fischerort mit einer Fährverbindung zum Festland, umgeben von zahlreichen Lachsfarmen. Hier bleiben wir 2 Tage, bis wir die letzten 60 Meilen unserer Tour durch die chilenischen Kanäle bei südwestlichem Wind unter Segeln in Angriff nehmen. Am Abend des 10.11. erreichen wir den Club Nautico Reloncavi in Puerto Montt, wo Ken, der Segler John aus Alaska und das sehr freundliche Club-Personal bereits auf uns warten und die Leinen in Empfang nehmen. Es ist ungewohnt, nach 1500 Meilen durch die endlose, fantastische Natur und Einsamkeit der chilenischen Kanäle plötzlich wieder von so vielen Menschen umgeben zu sein. Ein wenig wehmütig blicken wir zurück.
Puerto Montt wurde 1835 gegründet und galt als Zentrum deutscher Einwanderer. Der „Deutsche Club“ bietet für 7 € eine Bratwurst an. Am Fischmarkt Angelmo finden wir zu günstigsten Preisen geräucherten (Gesund durch Antibiotikum) Lachs. Der Hafen wurde beim Erdbeben 1960 vollständig zerstört. Riesige Kreuzfahrtschiffe ankern in der Bucht und bringen Massen von Touristen aller Nationen dahin, woher wir kommen.
Zwei Wochen später unternehmen wir für ein paar Tage eine siebenstündige Busreise über den Andenpass nach Bariloche in Argentinien. Nach 90 Tagen in Chile ist mal wieder ein neuer Stempel im Pass fällig, auch für unser schwimmendes Heim müssen wir beim Zoll eine Verlängerung für 3 Monate beantragen. An der Grenze wird der Spürhund vom Zoll auf sämtliches Gepäck der Businsassen losgelassen. Die Kontrolle zieht sich über eine Stunde hin.
Bariloche, berühmt für seine Schokolade, war ursprünglich ein ruhiger und renommierter Ferienort der argentinischen High Society. Inzwischen lebt der Ort mit seinen 93000 Einwohnern hauptsächlich vom Tourismus, dementsprechend häufig stolpern wir über Backpacker und deren in riesigen Rucksäcken verpackten Hausstand. Wie angenehm ist es doch, mit einem Segelboot zu reisen.
Zurück in Puerto Montt, befassen wir uns mal wieder mit den unangenehmen Dingen des Reisens per Segelboot: Timo steckt über Wochen im Motorraum fest, tauscht Lichtmaschine und Anlasser aus, verlegt neue Kabel, nimmt mehrmals die Kühlwasserpumpe auseinander, tauscht Impeller und Ölfilter, dichtet Lecks ab und trägt Zinkfarbe auf. Der gebeutelte Motor sieht aus wie neu.
Sandra ist wie immer mit der Beschaffung der Ersatzteile beschäftigt, schrubbt die Bilge, kopiert Seekarten und Handbücher für den Pazifik, pinselt das Teakdeck und dichtet die Löcher im Schlauchboot ab. Die Windsteueranlage muss auseinander genommen und gereinigt werden, die Lampe im Bad flackert, die Homepage- Leser warten etc.
Zwischendurch erkunden wir die Stadt, besuchen einen chilenischen Zirkus und schlendern durch die für südamerikanische Verhältnisse riesigen Baumärkte außerhalb der Stadt. Weihnachten und Sylvester verbringen wir geruhsam in Gesellschaft der anderen Segler im Yachtclub. Die Zeit vergeht rasend schnell.
In den nächsten Tagen machen wir uns auf den ca. 100 Meilen langen Weg nach Valdivia, um von dort entlang der Küste weiter nach Nordchile und Peru zu segeln; mit südlichen Winden des Südpazifik-Hochs im Rücken und dem Humboldt Strom auf unserer Seite – Inshallah…