28.9.06

01.07.06 – 24.08.06 Angra dos Reis – Buenos Aires „Kann es noch ein wenig mehr sein?“



„Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ - sagen wir uns, als wir am 30.06. in unserem von Muscheln und Algen überwucherten Segelboot sitzen und vom Travel- Lift einer kleinen Werft in Angra dos Reis sicher an Land befördert werden.



Eine Woche lang ist dieser familiäre Werftbetrieb, von dem wir sehr freundlich aufgenommen werden, nun unser Zuhause. Tagsüber erarbeiten wir uns einen kräftigen Muskelkater; nachts bewachen drei freilaufende, gefräßige Wachhunde unsere Leiter und sorgen für einen sicheren Schlaf (mit einer Bockwurst bewaffnet gelingt auch der Toilettengang). Wir schlafen während unseres Landaufenthaltes an Bord, was später in Argentinien und Uruguay aus Sicherheitsgründen nicht mehr erlaubt sein wird.



Am ersten Tag wird das Unterwasserschiff mit Wasser, Spachteln, Schleifgeräten und alten Fischernetzen (guter Tipp der Werftarbeiter) gründlich gesäubert; einen Hochdruckreiniger gibt es hier nicht.





Unser Vorrat an metallfreiem Antifouling, das wir für den Aluminiumrumpf benötigen, wird nun endgültig aufgebraucht. Leider reicht es nicht mehr für den Anstrich des Ruders.
In Brasilien ist dieses Antifouling nicht erhältlich: Hier wird nach dem Auftragen mehrerer Primer- Schutzschichten auch bei Aluminium- Booten kupferhaltiges Antifouling benutzt. Kein Problem, wie uns unser Farbenspezialist Mario in einem mehrstündigen Vortrag (bei dem Timo eingeschlafen ist) versichert. So bleibt uns nichts anderes übrig, als das Ruder in dieser Form vor Bewuchs zu schützen - solange es nicht beschädigt wird, ist keine Korrosion zu befürchten.



Der Anker erhält einen neuen Schutzanstrich, das Teakdeck im Cockpit wird von alten Lackresten befreit. „Signore Madeira“, der Holzspezialist, ersetzt für umgerechnet 20 € eine marode, ausgebrochene Leiste an der Ankerkiste.
Für das Ruder wird in der Dreherei eine neue Nylon- Buchse gebaut, die erst nach mehreren Versuchen (innerhalb von drei Tagen) passt und vieles mehr.



Zwischendurch bringen wir unseren alten Navigations- Laptop zur Reparatur, der nach einer unbemerkten Erfrischungsgetränk- Dusche nicht mehr arbeiten will. Leider gibt es hier nicht die notwendigen Ersatzteile.

Am letzten Tag wird noch schnell der Rumpf poliert, so dass sich am 05.07. ein strahlend weißes Segelboot wieder auf den Weg zum „Angra dos Reis Marina Clube“ macht, diesmal mit einer max. Geschwindigkeit von 7 Knoten.

Es stellt sich heraus, dass unser Boot vor der Reinigung des Rumpfes allein aufgrund des Bewuchses 3 Knoten langsamer war, so dass uns nun ein Stein vom Herzen fällt: Kein unerkanntes Antriebsproblem des Motors, nur Algen und Muscheln bremsten die Fahrt.



Jetzt haben wir endlich Zeit für das Vergnügen: In der nächsten Woche finden einige Barbecues mit unserem Freund und Helfer Mario statt, der in der Nähe des Hafens wohnt. In dem sehr freundlichen Segelclub lassen wir ebenfalls keinen „Grillabend“ ausfallen. Selbst Profi-Griller können hier noch jede Menge lernen – aber Argentinien kommt ja erst noch.



Unter den Grillgästen befindet sich auch ein Urologe, der bei Timo auf ganz unbürokratische Weise noch eine kostenfreie Kontrolle der Laborwerte durchführt: Tudo bom – alles wieder in Ordnung.



In der nächsten Woche wird die wunderschöne Inselwelt rund um Angra erkundet, während wir immer noch auf das Paket aus Deutschland warten.



Gemeinsam mit den Australiern Paul und Diane, die wir bereits aus Rio kennen, ankern wir 2 Tage in einer kleinen Bucht vor der „Ilha da Cotia“.



Nahe des schönen Touristenörtchens Parati begegnet uns die Segelyacht „Why Not“ mit dem Engländer Philip und der feurigen Italienerin Paula an Bord.



In bestem Oxford- Englisch (beide haben in Oxford studiert) erhalten wir wichtige Insiderinformationen über die Hafen- und Seeverhältnisse für die Route bis Buenos Aires. Paula diktiert und zeichnet Pläne von Ankerplätzen, wir schreiben fleißig mit, bis uns die Ohren dröhnen. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die Beiden.



In verschiedenen Ankerbuchten rund um die „Ilha Grande“ entdecken wir beim Schwimmen und Schnorcheln in klarstem Wasser unheimliche Riesen- Seesterne, urtümliche Steinzeitfische und multinationale Touristenschwärme.



Während wir in der Enseada do Abraao (Ihla Grande) vor Anker liegen, erwischt uns ein Sturm. Zuerst driftet ziemlich dicht ein ankerndes Fischerboot vorbei, dann ein kleines, herrenloses Segelboot mit schleifendem Anker, wieder ein Fischer und dann driften wir an anderen Seglern vorbei.
Wir ?! – Alarm!!! Maschine an, Anker hoch, den Aussis und Kiwis noch schnell zuwinken und im Sturzregen ab in die nächste, geschütztere Bucht. Wir schlafen etwas unruhig – hält unser 22kg CQR-Anker bei 15 Metern Tiefe und 60 Metern Kette oder nicht? Ach übrigens: wir geben uns sehr viel Mühe beim Einrucken etc.



Am nächsten Morgen wollen wir wieder nach Angra. Aber der Anker tut was er soll: halten.
Die Ankerwisch und die Crew beginnen zu schwitzen. Ausruckversuche scheitern kläglich mit dem Erfolg, die Aufnahme des Ankers zu verbiegen. Wir kurbeln per Hand und Strom. Blut und Schweiß fließen in Strömen (die Handkurbel rutscht gerne ab) und der ein oder andere Fluch soll wohl auch gehört worden sein.

Nach einer Stunde Kurbelei ist unser Anker langsam unter dem Meeresspiegel zu sehen. Weitere 10 Minuten später erkennen wir das Elend: Eine alte Stahltrosse, ca. 15m lang und armdick. Wir verzeihen unserer Ankerwinsch die Arbeitsverweigerung und entlassen XXX Kilo Drahtseil wieder auf den Meeresgrund.



Ende Juli erreicht uns über den Trans- Ocean Stützpunktleiter Klaus Bartels die Nachricht, dass das lang ersehnte Paket (nach 8 Wochen Lieferzeit) in Rio beim Zoll auf uns wartet. Darin befindet sich ein neuer Dieselkocher von Wallas, ein Toiletten- Dichtungsset, eine Lampenfassung für das Positionslicht und andere Kleinigkeiten, die in Brasilien nicht erhältlich sind.

Ein Glück, denn viel länger hätten wir nicht warten können, da wir am 28.08. in Buenos Aires Besuch von Freunden aus Deutschland erwarten. Bis zur Hauptstadt von Argentinien liegen noch ca. 1200 Seemeilen vor uns.



Also sitzen wir am 02.08. um 0600 Uhr im klimatisierten Bus, der uns in 2 Stunden von Angra zum Busbahnhof in Rio bringt. Weiter geht es mit dem Taxi zum Zollgebäude am alten Flughafen (Galeao).

Hier erwartet uns eine unangenehme Überraschung: Eine korpulente Zollbeamtin fordert uns in sehr gebrochenem Englisch auf, 60 % Einfuhrsteuern für das Paket zu zahlen. Dummerweise lag dem Paket die Rechnung bei, wonach die resolute Dame eine Summe von 600 € an Steuern errechnet, plus zusätzlicher Lagergebühren.

Der Umstand, dass wir eine „Yacht in Transit“ sind und somit keine Einfuhrsteuer zu entrichten haben, interessiert hier niemanden. Diesbezüglich warnte uns bereits in Angra eine deutsche Segelyacht vor, die vor kurzem ebenfalls zum Zoll zitiert wurde.



Mit hängenden Köpfen erklären wir, das Paket unter diesen Bedingungen nicht annehmen zu können.
Ob der Dame die mit dieser Entscheidung verbundene Mehrarbeit vor Augen steht oder sich tatsächlich ein Funke des Mitleids in ihr regt, bleibt unklar, jedenfalls lässt sie sich nach großem Palaver erweichen, das Paket zu öffnen.

Nachdem wir gerade betont haben, dass dieses Paket für die Sicherheit unseres Schiffes unbedingt notwendige Utensilien enthält, fällt der Zolldame die zuoberst aufliegende, wichtig aussehende Klodichtung in die Hände - laut Timo eine dringend erforderliche Dichtung für den Motor. Es folgt ein Sortiment an Schrauben, die Lampenfassung, eine Niedersachsenflagge. Noch bevor der Kocher zum Vorschein kommt, wendet sich die Dame ab und greift zum Telefonhörer.

Mit einem Lächeln im Gesicht zerknüllt sie den Zettel mit ihren Berechnungen und deutet zum Ausgang: „Sie können das Paket mitnehmen!“ – „Und die Steuer, die Lagergebühren?“ – „Entfällt! Sie können sich bei meinem Chef bedanken! Ich wünsche Ihnen noch eine gute Reise.“ Auch das ist Brasilien.

Geschafft! Nach einigen Freudensprüngen geht es auf demselben Weg zurück nach Angra.

In den folgenden 2 Tagen wird das Boot auf die lange Etappe nach Buenos Aires vorbereitet: Volltanken (Diesel und Wasser), Mast- und Riggkontrolle, Segelwechsel, Beiboot einpacken, neuen Kocher einbauen, Fenster abdichten, Windsteuerung klarmachen, aufräumen, festzurren, einkaufen, verabschieden…



Das Wettergeschehen haben wir in den letzten Wochen per Internet intensiv verfolgt, z.B.:

www.mar.mil.br;
www.veleiro.net
(INPE/CPTEC: 6-Tage-Progn.; Lamma: 6-Tage-Progn.);
www.buoyweather.com (3-Tage-Progn. in englischer Sprache);
www.cybernautica.com.ar;
www.wetterzentrale.de;
www.wetteronline.de
.

Am Morgen des 05.08. werfen wir die Leinen los. Bei mäßigem Wind aus Nordost werden Klüver und Großsegel gesetzt. Es dauert einige Zeit, sich wieder an den typischen Tagesrhythmus beim Segeln mit nächtlichem Wachwechsel alle 4 Stunden zu gewöhnen.



Am dritten Tag auf See tragen Timo´s bisher kläglichen Angelversuche endlich Früchte: Eine goldgelbe Makrele (ca. 4 kg) beißt an. Ein stolzer Hochsee- Angler holt sie nach kurzem Kampf erschöpft (die Makrele oder Timo?) an Deck.



Eine Frage ist noch offen: Wer von uns beiden verpasst ihr den erlösenden Hieb? Es hängt schließlich zum ersten Mal ein Fisch an unserer „Beastmaster“- Angel.
Schnelles Handeln ist gefragt, also wird die zappelnde Makrele mit zwei Kiemen voll Whisky und einem Messerstich außer Gefecht gesetzt. Für das Ausnehmen ist dann die Dame des Hauses zuständig. Wir fühlen uns wie Könige, als wir am Abend unsere filetierte, panierte Beute in die Pfanne werfen. Wie schnell doch so ein Fisch verschwindet...



Als unser Wetterfax auch am vierten Tag noch keine Daten liefert, funken wir nachts auf Kanal 16 einen Frachter an, um eine aktuelle Wetterprognose zu erhalten. Dieser reagiert leider nicht. Stattdessen fährt uns eine Stunde später auf der Höhe von Florianopolis fast ein anderer Frachter über den Haufen.

Durch lange Kreuzschläge sind wir inzwischen fast 200 sm von der Küste entfernt. Wir beschließen, nicht wie geplant nach Porto Belo, Florianopolis oder Imbituba zu segeln, sondern gleich die ca. 350 sm entfernte Stadt Rio Grande do Sul anzulaufen, wo sich die letzte Ausklarierungsmöglichkeit in Brasilien befindet.

Zwischen Imbituba und Rio Grande gibt es außer dem schwer zugänglichen Laguna, wofür wir ohnehin keine exakten Karten haben, keinen weiteren Hafen.

Am 09.08. reffen wir um 0200 morgens, als der Wind (immer noch aus NE) zunimmt. Das Barometer fällt zusehends und der Wind nimmt weiter zu, so dass wir am späten Nachmittag ein 2. Reff eindrehen.



Wir düsen bei 25 Knoten Wind dahin, als plötzlich um 0400 Uhr morgens der Schäkel am Kopf des Klüvers bricht. Der Klüver schwimmt inzwischen parallel zum Boot, also eilt Sandra mit einem Hechtsprung aufs Vordeck, um das triefende, widerspenstige Segel wieder einzufangen. Da wir vorerst das im Masttop verbliebene Klüver- Fall nicht herunterbekommen, setzen wir erstmal die Sturm- Fock.

Das Barometer hat eine Stunde später seinen heutigen Tiefstand von 1012 hPa erreicht, als der Wind schlagartig auf S/SW dreht, um uns mit unverminderter Stärke von 26 Knoten und mehr gegenan zu traktieren. Eine dicke, schwarze Wolkenwand zieht tief über unseren Köpfen hinweg. Wir nutzen die Gelegenheit, um unser 3. Reff zu testen.

Als wir unseren Am-Wind-Kurs nicht mehr halten können, drehen wir schließlich auf der Höhe von Porto Alegre auf Steuerbordug bei und driften in den nächsten 10 Stunden mit 1,5 Knoten entlang der 2000 m- Linie nach NE. Hier ist es schön tief und niemand stört unsere Ruhe, wir sitzen und warten…

Bewundernswert, mit welcher Leichtigkeit die Seevögel derweil über die Wellenberge gleiten. Das klitschnasse Vorsegel verbreitet inzwischen auf dem Boden im Vorschiff eine weniger elegante Atmosphäre: Was nicht vorher schon nass war, ist es spätestens jetzt. Lüften geht nicht! Und dann noch die bis jetzt nicht zu behebende Undichtigkeit im Schrank...
Wir kommen mal wieder zu der Erkenntnis: Segeln ist die unbequemste Art zu reisen...



Weiter geht´ s, ein Reff raus, wir segeln wieder. Da wir mit der Sturmfock nicht so hoch am Wind segeln können und zudem trotz hart arbeitendem Windgenerator ein Energieproblem haben, läuft der Motor eine Weile zusätzlich mit.

Am 11.08. funken wir, inzwischen noch 200 sm von Rio Grande entfernt, um 0300 Uhr nachts den Frachter „Torm Skagen“ an und erhalten von der wachhabenden Steuerfrau den aktuellen Wetterbericht für die nächsten 24 Stunden: Nord moderate.
Am wolkenlosen Himmel weist uns das Kreuz des Südens den Weg, das Barometer zeigt 1024 hPa. Schöne Aussichten!?

Drei Stunden später setzt Wetterleuchten ein, es bilden sich Schleierwolken und das Barometer entschließt sich, wieder zu sinken.
Um 1500 Uhr passiert uns der Frachter „Akademik Semenov“ 1 sm an backbord. Der freundliche Russe aktualisiert unseren „moderaten“ Wetterbericht folgendermaßen: Lokal warning – until tomorrow 1200 GMT NE/NW 7 - 8 Beaufort, Wave 3.5 m.

Der Funker erkundigt sich noch nach unserer Position und antwortet etwas verlegen mit „thank you, maam“, als Sandra ihm mitteilt, dass wir soeben in Sichtweite an ihm vorbeigesegelt sind. Wir beschließen nach dieser Erfahrung, Schiffe, die uns in Zukunft zu nahe kommen, nicht nur aus wettertechnischen Gründen anzufunken.



Gegen 1600 Uhr dreht der Wind auf SE und weht ziemlich bald mit 30 Knoten und starken Böen, das 3. Reff ist wieder fällig. Eine Segellatte vom Großsegel quittiert ihren Dienst und flattert davon.
Gewitter und Regen setzen ein. Dauerblitze traktieren uns in der folgenden Nacht im Sekundenabstand, schlagen mit voller Wucht neben, vor und hinter dem Boot ein. Unbändiger Donner kracht ohrenbetäubend aus dem Nichts durch die Weite des Ozeans, daneben das Brüllen des Windes. Ein unheimliches, unvorstellbares Schauspiel der Naturgewalten. Vorsichtshalber ziehen wir die Antennestecker heraus und schalten nur zur Kontrolle kurzzeitig GPS, AIS und Windanzeiger ein.

Unter diesen Umständen ändern wir unseren Kurs und halten uns vom Land (Rio Grande do Sul) fern. Unser neuer Wegpunkt heißt jetzt „La Paloma“ in Uruguay, knapp 300 sm entfernt. Zwischen Rio Grande und La Paloma befindet sich nur ungeschützte, felsige und flache Küste.

Anfangs laufen wir mit dreifach gerefftem Groß und Sturmfock auf Steuerbordbug achtern vor dem Wind. Der Wind hat inzwischen auf 40 Knoten zugenommen, in Böen mehr. Unser altersschwaches Großsegel gibt auf und reißt am Achterliek komplett ein, die zweite Segellatte verabschiedet sich bei der Gelegenheit auch gleich.
Während wir beidrehen, verzurrt Timo den wild flatternden Rest vom Großsegel am Baum. Eine Welle erwischt uns seitlich, es kracht gewaltig.
Weiter geht´s; mit der Sturmfock laufen wir bei achterlichem Wind 6 Knoten. Schlaf- und Kräftemangel im ersten Stadium.



Am Morgen des 12.08. steht das Barometer mal wieder auf 1012 hPa, Wind geht auf 25 bis 30 Knoten zurück, weiterhin Dauergewitter mit Endlos-Blitzen, Luftfeuchtigkeit liegt bei 85 %.

Wir machen erst mal Bestandaufnahme : Außer dem eingerissenen Großsegel und den weggeflogenen Segellatten haben wir noch einen ausgerissenen Mastrutscher, eine eingerissene Cockpit- Seitenverkleidung an der Steuerbordseite sowie je eine zerfetzte Deutschland- und Brasilienflagge zu verzeichnen.
Auch einer unserer beiden Radarreflektoren hat sich verabschiedet. Außerdem ist das Gestänge der Windsteueranlage verbogen; sie funktioniert noch, ist aber schwergängig.
Das Großsegel wird trotz zerfetztem Achterliek wieder zur Arbeit genötigt.



Am Nachmittag dann die nächste Überraschung: Der Motor springt nicht mehr an! Bei sehr bewegter See und Flaute wird der Motordeckel im Cockpit hochgenommen und seitlich festgezurrt.

Timo baut fluchend den Anlasser aus und reinigt die von Salzwasser verdreckten und korrodierten Kontakte. Der Einbau des Starters ist unter den schaukeligen Umständen eine Kräfte zehrende Strapaze. Vier Unterarme schmerzen, als wir kurz vor Sonnenuntergang den Motor wieder in Gang kriegen. Schlaf- und Kräftemangel im zweiten Stadium.

Die nächste Nacht beschert uns wenig Wind aus Süd, so dass wir zeitweise den Motor zu Hilfe nehmen. Wieder Dauergewitter; Blitze, Donner und Regen lassen unsere anfängliche Ehrfurcht allmählich abstumpfen. Ein paar Stunden Schlaf für jeden.

Der Morgen des 13.08. überrascht uns pünktlich zum Frühstück um 0500 Uhr mit südlichen Gewitterböen bis zu 30 Knoten. Ein Frühstücksei wäre uns lieber.

Im Logbuch steht um 0515 Uhr: Motor will wieder nicht! Der Verdacht liegt nahe, dass der Anlasser erneut hakt. Als auch die Behandlung mit dem Hammer nicht zum Ziel führt, wird er bei nachlassendem Südwind also zum zweiten Mal unter den bereits geschilderten Bedingungen ausgebaut – und springt am Nachmittag nach mehreren Versuchen an.



Wir entdecken ein neues Problem: Die Starterbatterie wird von der Lichtmaschine nicht mehr geladen und zeigt gerade mal 10,5 Volt an.
Da hilft nur noch Trick 17: Wir transportieren mit dem 220 V- Handbatterieladegerät den Strom des 2. Batteriekreises über den Spannungsumwandler zur Starterbatterie (die langen Kabel sind irgendwo in unserem Kreuzfahrtdampfer verschwunden). Absurd, aber es scheint zu funktionieren.

In der Nacht wird es stockfinster und der Wind weht aus SW mit Stärke 8 Bft, als uns ziemlich nah ein Schiff überholt. Barometerstand 1018 hPa. Die Wellen sind 3-4 Meter hoch, kurz und giftig. Rodeo oder Schleudersitz?

Um 0500 morgens (14.08.) weicht die schwarze Wolkenwand kurzzeitig einem klarblauen Himmel. Gegen 0800 Uhr zieht wieder eine dicke, schwarze Wolkendecke über uns hinweg, Gewitter, Regen, Donnergroll, mehrere Blitzeinschläge direkt vor uns. Barometerstand 1013 hPa. Die Sicht wird immer schlechter, so dass wir die 2 Schiffe, die uns 1 sm an backbord und 5 sm an steuerbord passieren, nur per AIS und Radar orten können. Auf unser Anfunken erfolgt keine Reaktion.

Bei zunehmendem Wind holen wir die Sturmfock ein und haben bei dreifach gerefftem Groß immer noch eine Geschwindigkeit von 7 Knoten und mehr.
Eine günstige Gelegenheit, die Segeleigenschaften unseres Bootes „vor Top und Takel“ zu testen: Wir segeln ohne Segel bei achterlichem Wind stabil bei einer Geschwindigkeit von immer noch 5 Knoten.

1000 Uhr, Barometerstand 1011 hPa.
1030 Uhr, Barometerstand 1009 hPa.

Um 1130 spielt unser neues Barometer verrückt und sinkt auf 996 hPa, das alte bleibt bei 1009 hPa. Was soll man da noch glauben? Wir vertrauen dem Altbewährten! Ab 1230 geht es dann bei beiden übereinstimmend wieder aufwärts.

Bei uns auch, denn nach einem Winddreher von SW auf NE folgt erstmal Flaute. Das bedeutet: Tanken, aufräumen, ausbessern, ausruhen, essen, schlafen.

Der Motor tuckert zuverlässig. Um 1900 Uhr dann der Supergau: Auf der Suche nach dem Stromproblem betätigt der Käpt´ n versehentlich den Batterie-Notaus-Schalter. Es knallt und alle Geräte gehen vorschriftsmäßig aus – leider auch der Motor!



Problem: Die Starterbatterie (und auch die anderen) sind für den Motorstart zu schwach, eventuell hakt auch der Anlasser wieder, so dass er nochmals unter ungemütlichen Bedingungen (inklusive Dunkelheit) aus- und wieder eingebaut wird.

Wir dümpeln bei einem Strom von 1.5 Knoten gegenan drei Stunden in der Flaute, bis Timo mit Hilfe einer nicht ganz ungefährlichen Idee der Motorstart gelingt. 2200 Uhr, wir haben einen Versuch:
Alle 5 Batterien werden zusammengeschlossen, dann wird per Hand mit der Knarre die Kurbelwelle angedreht. Es klappt! Glück gehabt! Und los geht die Fahrt!

Nach der Schufterei sind wir fix und fertig. Das Chaos im Boot – überall Werkzeug, Batterien, Kabel, nasse Klamotten – wird so gut es geht beseitigt.

Pünktlich zum Motorstart kommt auch der Wind – Westwind, 22 Knoten - genau aus der Richtung, in die wir wollen. Volle Kraft voraus, Augen zu und durch, Endspurt! Nusskuchen und Saft für Energie und Kraft (zum Kochen sind wir zu müde).
Schlaf- und Kräftemangel im dritten Stadium.



Der 15.08. beginnt eiskalt, finster und nass. Der kalte Falkland– Strom beschert uns eine Wassertemperatur von 10,6 °C. Mützen, dicke Pullover und Handschuhe werden eiligst aus der tief verstauten Winterkiste hervorgekramt. Einziger Lichtblick in dieser düsteren Nacht ist eine Gruppe von ca. 10 Delphinen, die weiß leuchtend ihre Bahnen zieht.

Inzwischen haben wir zusätzlich zum Wind auch noch 2.5 Knoten Strom gegenan, so dass wir kaum vorwärts kommen. Unseren zwischenzeitlichen Plan, an La Paloma vorbeizufahren und direkt Punta del Este anzulaufen, müssen wir notgedrungen fallen lassen, da wir nur noch 85 Liter Diesel haben. Also doch „La Paloma ohe´“!
Die Hundertmeter- Linie ist inzwischen überschritten, 60 sm von La Paloma entfernt beträgt die Wassertiefe noch 50 m.

Uruguay, einer der kleinsten südamerikanischen Staaten, grenzt im Norden an Brasilien und im Südosten an den Atlantik. Der Fluss Uruguay, der zur Küste hin in das Rio de la Plata- Delta übergeht, bildet die Süd- und Westgrenze zu Argentinien. Die Landschaft besteht aus hügeligem, von Flüssen durchzogenem Weideland.
An der Küste gibt es zahlreiche schöne Sandstrände. Der Grossteil des Landes wird als Weideland für Steak- und Lammbratenzucht genutzt. Montevideo, wo über 50% der Bevölkerung lebt, liegt am südlichsten Punkt des Landes.



1300 Uhr: Land in Sicht! 3 Stunden später steuern wir den weißen, runden Leuchtturm „Santa Maria“ an, eine weitere Stunde später liegen wir fest vertäut im Hafen von La Paloma, nachdem wir uns über VHF, CH 16 angemeldet haben.

Der sehr freundliche Hafenmeister der Hidrografia (Hafenbehörde) erledigt schnell die Formalitäten und versorgt uns mit Duschmünzen. Die Liegeplatzgebühren betragen pro Tag ca. 6 €. Dreck und Sorgen verschwinden erstmal im Abfluss.

Direkt neben dem Hafengelände befindet sich die Prefectura Naval (Küstenwache). Wir rechnen mit Problemen bei der Einklarierung, da wir in Rio Grande nicht ordnungsgemäß ausklarieren konnten und somit keinen brasilianischen Ausreisestempel im Pass haben.
Unsere Sorgen sind unbegründet; nachdem alle Dokumente begutachtet und kopiert wurden, heißt es „no problemo“.
Den Einreisestempel gibt es erst im nächsten Hafen bei der Immigration in Piriapolis.



Wir genießen den Luxus des Durchschlafens und begeben uns am nächsten Morgen voller Tatendrang auf Entdeckungsreise. Am Hafenausgang werden wir von dem netten Rentner Paul aufgelesen, der uns mit seinem Geländewagen voller Stolz seinen Heimatort zeigt.

Eigentlich besteht La Paloma nur aus einer schnurgeraden Hauptstrasse, die am weißen Leuchtturm Santa Maria beginnt und sich später in einem lichten Kiefernwald verliert. Außerhalb der Saison ist hier nicht viel los, die meisten Läden und Restaurants sind geschlossen. Wir finden zwei kleine Supermärkte, ein Internet- Cafe´ und eine Bank, wo wir unser brasilianisches Restgeld tauschen.

Paul berichtet, dass in der Saison zwischen Dezember und Februar hauptsächlich argentinische Touristen die Straßen bevölkern, da es in Argentinien nur wenige Sandstrände gibt – Mallorca auf südamerikanisch mit einer sehr kurzen Saison.

Am Strand finden wir später zwei (leider tote) Pinguine, die mit dem Falklandstrom nach Norden gereist sind. Im Hafenbecken dreht ein quicklebendiger Seehund seine Runden und erbittet sein Frühstück von den Fischern.



Den nächsten Tag verbringen wir im Waschsalon, in der Tankstelle, im Internet- Cafe´ und im Supermarkt. Auf dem Boot werden die Spuren der letzten Tage beseitigt. Das zum Glück unbeschädigte Klüversegel wird wieder angeschlagen, nachdem das Fall aus dem Mast gefischt wurde.

Am Abend sind wir bei Paul und seiner Frau in deren Haus am Leuchtturm zu Gast. Vor dem flackernden Kamin sitzend, lauschen wir den Geschichten über Land, Leute und die familieneigene Rinderfarm auf dem Land – ein echter Gaucho!



Drei Tage später machen wir uns bereits wieder auf den Weg. Bevor es losgeht, entdeckt und repariert Timo provisorisch eine Undichtigkeit am Wärmetauscher im Motorraum (hat leider nicht gehalten).

Unser nächstes Ziel ist das 60 sm entfernte Piriapolis. Bei 15 Knoten Wind aus SW sind wir am nächsten Morgen auf der Höhe von Punta del Este.
Die Port Control Punta del Este scheint uns auf ihrem Radar ausgemacht zu haben und will mehrmals über Funk genauestens informiert werden: position, speed, call sign, Schuhgröße, etc.

Wir haben derweil andere Sorgen:

1. Wasser im Motorraum – sind ja genug Pumpen da.
Die Handbilgepumpe will aber nicht mehr fördern. Die flexible elektrische Bilgepumpe hat sich offenbar während des Sturms ungehört trocken gelaufen. Der Schlauch der zweiten flexiblen Bilgepumpe reicht nicht bis in den Motorraum. Die dritte Bilgepumpe ist fest eingebaut und somit ebenfalls nicht geeignet. Also pumpen wir halbstündlich manuell per Schlauch ab, mit Hilfe der noch verbliebenen Vakuumpumpe. Mal wieder Schlauch- und Pumpenchaos im Boot.

2. Als wir den Motor starten, da der Wind inzwischen mit 20 Knoten genau von vorne kommt, bemerken wir ein schleifendes, schabendes Geräusch im Bereich der Welle, das im Vorwärtsgang stark zunimmt. Wir befürchten einen Schaden am Wellenlager. Erste Zweifel kommen auf, den Hafen mit Motorunterstützung erreichen.

Wir kreuzen um 1800 Uhr hoch am Wind bei 1.5 Knoten Strom gegenan dem Hafen entgegen. Der Motor läuft im Leerlauf mit. Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir die Hafeneinfahrt.
Der letzter Versuch, den Vorwärtsgang einzulegen, wird mit einem lauten, grauenhaften Krachen quittiert – das Log zeigt 0,1 Speed an. Dann segeln wir eben rein.



Einige Meter vor der Mole Windstille - der Strom ist so gnädig, uns langsam in das Hafenbecken zu schieben. Wir finden eine Lücke und „landen“ erstmal quer zur Pier. Nach einem kräftigem Schluck Mad(agaskar)- Rum bringen wir mit dem Schlauchboot zwei lange Leinen aus und vertäuen das Heck an den Mooring- Bojen.

In der Nacht reißt uns dann der angekündigte „Pampero“ aus dem Schlaf. Bis zu 35 Knoten Wind aus Süd und eisige Kälte. Ach ist es schön, im Hafen zu liegen…

Die Besuche bei Prefectura Naval, Hidrografia und Aduana (Zoll) sind schnell erledigt. Die Immigration befindet sich am Flughafen, eine halbstündige Überland- Busfahrt.
Während Sandra dort am 22.08. die 4 Stempel abholt (2 für die Einreise, 2 für die Ausreise), nimmt sich Timo des Problems an der Welle an:
Es stellt sich heraus, dass eine Kupplungsscheibe sich gelöst hat und somit das schabende Geräusch und den nicht vorhanden Vortrieb verursachte. Zum Glück hat der „Liebe Gott“ Loctite und Schlauchschellen erfunden.



Der Motor läuft wieder. Wir vermuten die Ursache für den Wassereintritt im Motorraum weiterhin beim Wärmetauscher, den wir aber erst in Buenos Aires ausbauen wollen. Ersatzteile sind hier schwer bis gar nicht zu bekommen.
Eine mechanische oder elektrische Bilgepumpe lässt sich leider nicht auftreiben, also bleibt es bei unserem Schlauchprovisorium. Die 150 sm bis zur argentinischen Hauptstadt (Capital) schaffen wir jetzt auch noch.

Da der Rio de la Plata an einigen Stellen sehr flach ist und einige Wracks auf dem Weg liegen, nutzen wir zur Navigation die unter www.cybernautica.com.ar zu findende Waypoint- Liste.

Wenn man nicht gerade über das Wrack der „Graf Spee“ fährt, ist es aber gar nicht so schlimm und flach, wie wir erwartet haben. Die Wassertiefe reicht meistens für uns Freizeitsegler.



Besonders beeindruckt uns die bei diesiger Sicht wie aus dem Nichts erscheinende „Isla de Flores“ südöstlich von Montevideo.

Nachts tauchen vereinzelt Nebelfelder auf, der Wind weht nur schwach aus NW. Wir pumpen inzwischen stündlich den Motorraum aus und versprechen unserem tapferen Volkswagen- Motor eine Komplettwartung in Buenos Aires.



Ohne weitere besondere Vorkommnisse laufen wir am 24.08. um 1800 Uhr mit Maschine in den Yacht Club Argentino im Zentrum von Buenos Aires, der Stadt der guten Lüfte, ein.