18.8.07

29.03.2007 – 18.08.2007 Beagle Kanal „Wintertraum(a)“

Zwei Wochen liegen wir in Startposition am Steg in Ushuaia, bis Wind und Tide sich endlich dazu herablassen, unser Trockenfall– Manöver zu ermöglichen. Möbel und Wassertank sind bereits ausgebaut (siehe Kapitel Salvador), dementsprechend gemütlich gestaltet sich das Bordleben.



Frohen Mutes und sehr nervös machen wir uns im Morgengrauen des 16.04. an die Arbeit. Nachdem wir jeweils 3 Becher Kaffee zum Wachwerden intus haben, wird die arme Ultima eine Stunde vor Hochwasser (laut unseres PC- Tidenprogramms wxtide46) per Hand Richtung Strand gezogen, möglichst nah an der Südseite des maroden Steges, bis sie sich langsam in den Schlamm eingräbt und auf Grund sitzt.

In Windeseile (ca. 2 Stunden) werden Fender und Fenderbretter in die richtige Position gebracht und Leinen festgezurrt, 5 lange Holzbretter werden zur Stabilisierung zwischen Boot und Steg in den Boden gerammt. Den Mast sichern wir nicht zusätzlich mit Fallen am Steg. Wer weiß schon, wie gut die Reparatur in Puerto Deseado wirklich war (gebranntes Kind…). Jetzt heißt es abwarten, bis das ablaufende Wasser Kiel und Welle freigibt.

Aber wir müssen gar nicht allzu lange warten, um festzustellen, dass irgendetwas nicht stimmt. Die Kaffeetassen rutschen in Höchstgeschwindigkeit über den Tisch, während sich unser schönes Segelboot immer weiter zur Seite neigt – weg vom Steg.



Bei 25 Grad Schräglage pendeln wir uns schließlich ein. Ändern können wir jetzt sowieso nichts mehr. Also zurren wir alles fest, was nicht schon umgefallen ist und bewaffnen uns mit Spachtel, Bürste und Machete. Endlich kommt unsere Gummistiefelanglerhose zum Einsatz.
Timo stürzt sich als erster in die abnehmenden Fluten und schrubbt, bis zum Bauch im Schlamm stehend, den von Muscheln und Algen stark überwucherten Rumpf – nie wieder ein Aluboot…



Bei einer Wassertemperatur von 4° C wechseln wir uns im 20- Minutentakt ab, bis die Oberkante der Schraube aus dem Wasser ragt. Bei Niedrigwasser stellen wir frustriert fest, dass die Welle weiterhin unter Wasser bleibt. Keine Chance, sie auszubauen. Das Wasser steigt bereits wieder.

Fehler 1: Falsche Hochwasserdaten des PC– Tidenprogramms, so dass wir, ohne es zu wissen, eine Stunde zu spät dran waren. Fehler 2: Durch die Schräglage liegt der Kiel tiefer im Wasser. Fehler 3: Zwischen den Ohren.

Immerhin ist der Bootsrumpf wieder sauber. Wir verholen das Boot in noch flachere Gewässer, um aufgrund der günstigen Wetterprognose gleich zum nächsten Hochwasser einen neuen Versuch zu starten. Das kann eine lange Nacht werden. Diesmal sind wir klüger und richten uns nach den aktuellen Hochwasserdaten des Yachtclubs. Noch näher an den Steg heran, damit wir nicht wegrutschen können. Langsam kriegen wir Routine. Die Gaffer und Besserwisser stehen schon am Steg bereit, als wir unser Boot wieder auf Grund ziehen. Sieht gut aus, schnell die Leinen fest.



Nach einer halben Stunde sacken wir wieder weg. Diesmal 25° zur anderen Seite, der Kiel ist seitlich in ein Schlammloch gerutscht, da der Boden hier sehr uneben ist. Schließlich haben hier schon viele andere Segelboote ihr (Un-)Glück versucht. Wieder schrubben bis zum Niedrigwasser, diesmal bei starkem Schneefall und Eiseskälte. Dann der spannende Moment: Das Wasser hat seinen Tiefpunkt erreicht und bleibt genau eine Handbreit über der Welle stehen. Nichts zu machen.

Wir bleiben also auf unserem Stammplatz und planen den Trockenfall Nummer 3 trotz angesagtem Ostwind gleich für den nächsten, sehr frühen Morgen.
Der Hafen ist nach Osten ungeschützt, so dass vom Beagle Kanal her ein unangenehmer Schwell zu erwarten ist. Aber die günstige Mondphase neigt sich dem Ende zu und wir wollen nicht noch einen Monat unverrichteter Dinge hier festsitzen. Also dasselbe Spiel noch mal. Der Schwell hebt das Boot in der kritischen Phase, um es sanft wieder auf den Schlamm zu werfen. Unsere Augenringe werden noch schwärzer, als sich das Boot wieder einmal bedrohlich zur Stegseite neigt. Ein Blick kurz vor Niedrigwasser genügt: Es reicht wieder nicht, die Welle bleibt unter Wasser.



Wir bleiben, wo wir sind und bereiten uns auf Trockenfall Nummer 4 vor. Es hilft alles nichts: Um die Bootsposition noch mehr zu stabilisieren, müssen 2 Mastfallen am Steg angebracht werden. Das kann uns im ungünstigsten Fall den Mast kosten, aber uns bleibt nichts anderes übrig. Diesmal klappt es, wir stehen aufrecht am Steg.

Timo bereitet über Kopf den Ausbau der Welle im Bootsinneren vor: In der engen Bilge ist kaum Platz, um Werkzeuge vernünftig anzusetzen, Eine schmieriger Fett- und Ölfilmpfütze macht das Arbeiten nicht gerade angenehmer. Die Überwurfmutter lässt sich trotz fast aller Tricks (einige wenige befinden sich noch in der Entwicklungsphase) nicht lösen, da muss ein Spezialwerkzeug her. Die Zeit und Lola, äh Sandra rennt. In 2 Stunden beginnt das Wasser wieder zu steigen…

Timo versucht weitere Tricks und Werkzeuge der Nachbarboote, während Sandra mit dem Taxi zur Werkstatt von Senor Castro rast. Leider ist auch hier der Spezialschlüssel nicht aufzutreiben, aber Don Castro ist erfinderisch: In einer halben Stunde hat er das gewünschte Werkzeug in seiner Werkstatt aus Metallresten hergestellt. Gute und schnelle Arbeit. Noch können wir es schaffen, also schnell zurück zum Boot. Als Sandra eintrifft, hat Timo es bereits geschafft, die Überwurfmutter zu lösen. Ist doch ganz einfach: Kleber, Sand, Schlauchschelle, Hammer und Gewalt!!!

Umso besser. Jetzt schnell die Welle aus dem Schaft ziehen und das Loch mit einem Leckstopfen abdichten, bevor das Wasser wieder steigt. Timo zieht an der Schraube, stemmt sich mit aller Kraft dagegen, hämmert an der Welle – nichts tut sich! Das blockierte Lager muss sich im Schaft verkeilt haben. Die Zeit ist um. Erschöpft und frustriert sehen wir zu, wie der Wasserspiegel langsam die Welle unter sich begräbt.



Trockenfall Nummer fünf steht an. Kurz vor Ladenschluss haben wir noch einen Wagenheber erstanden, mit dessen Hilfe wir morgen früh beim fünften Niedrigwasser in Folge hoffentlich die Welle herausbekommen. Wir hatten Glück, einen kleinen Wagenheber zu finden, der in der engen Bilge überhaupt stabil angesetzt werden kann. Als Timo kurz nach Ladenschluss den nagelneuen Wagenheber vorsichtshalber schon mal testet, tut sich leider gar nichts (ja, ja…ich hab Hydrauliköl draufgekippt!). Das Ding ist schließlich „made in Argentina“, also schon vor der ersten Benutzung kaputt! Unser Boot steht bereits kerzengerade auf dem Trockenen. Falls jemand Fragen über das Trockenfallen hat: RUF MICH AN 0190/...

Vorsorglich wird noch ein Mechaniker angerufen, der einen Industriewagenheber besitzt, bevor Sandra frühmorgens zum „Baumarkt“ rast, um das kaputte Ding umzutauschen. Leider noch geschlossen (0830). Öffnungszeiten: 0900h bis 1200h, dann Siesta…

Also im Sauseschritt quer durch die Stadt, um ein passendes Ersatzmodell zu finden. „No hay“ („gibt es nicht“) lautet die Antwort der ersten acht Läden. Inzwischen hat Sandra im „Baumarkt“ den kaputten Wagenheber wieder zu Geld gemacht, es war der letzte im Sortiment, also Umtausch nicht möglich…

Im neunten Laden für Autozubehör wird sie endlich fündig. Schon wieder läuft uns die Zeit davon.

Als Sandra mit dem funkelnagelneuen, funktionierenden Wagenheber im Hafen eintrifft, hat der Mechaniker namens „Panscho“ seinen Industriewagenheber bereits angesetzt. Der Zeitpunkt des Niedrigwassers ist soeben überschritten. Es muss schnell gehen, sonst wird es wieder nichts.

„Panscho“ und sein Hilfsarbeiter(„Sanscho“) hebeln mit voller Kraft, während Timo im Gummistiefelanzug in den kalten Fluten verzweifelt an der Schraube zieht. Inzwischen nagt wohl die Müdigkeit an uns, sonst hätten wir sicher bemerkt, dass „Panscho“ die Zerstörprinzipien der Mechanik perfekt beherrscht. Er setzt den Wagenheber, direkt auf der Zapfenwelle des gegenüberliegenden Ölmotors (teuerstes Element des Hydrauliksystems) an, ohne diesen auf Holzklötzen am „Fundament“ unseres Bötchens abzustützen.

Er und sein Hilfsarbeiter hebeln wie die Verrückten, ohne jegliches Feingefühl und ohne zu bemerken, dass sie die Antriebswelle in schiefem Winkel in den Schaft drücken. Zu guter Letzt bricht der Hebel des Industriewagenhebers ab („Made in USA“ mit 4 Tonnen Power).Bilder sagen mehr als Tränen:



Das Resultat: Rien ne va plus. Nach 10 cm bleibt die Welle stecken und bewegt sich weder vor noch zurück, während bei steigender Tide an den Seiten immer mehr Wasser eintritt. Viel Wasser! Saufen wir jetzt hier im Hafen ab? Wäre mal was Neues.

Timo versucht erfolglos von außen, die Welle mit Hilfe von Hebeln, Leinen und Hammerschlägen auf die Schraube wieder reinzudrücken. Einziges Resultat: Die Schraube wird leicht beschädigt.
Auch der Versuch, die Welle durch Fett abzudichten, schlägt fehl. Die neue Fettpresse („müde in Argentina“) verweigert ziemlich bald den Dienst. Lappen (auch von außen) und ähnliche Versuche scheitern ebenfalls. Wasser tritt inzwischen in Gummihose, Luftröhre und natürlich ins Boot ein.

„Panscho“ ist inzwischen zum „Baumarkt“ gefahren, um Dichtungsgummi zu besorgen. Wir kramen alle Pumpen hervor, die wir besitzen. Die elektrische Bilgepumpe läuft auf Hochtouren. Fragt sich nur wie lange, da „made in Argentina“. Die Nachbarboote stehen auf standby, um mit weiteren Pumpen auszuhelfen. Auf dem Boot sieht es aus, als hätten die Engländer die Malvinas (Falklandinseln) angegriffen.



Zeitgleich feiern die Argentinier den „Dia de las Malvinas“ (Tag des Angriffs der Falklandinseln im Jahr 1982). Zu diesem Anlass stattet der Präsident Argentiniens, Nestor Kirchner, Ushuaia einen Besuch ab und verkündet: „Die „Malvinas“ gehören zu Argentinien!“ Die Menge jubelt. Die englischen Segler machen vorsichtshalber einen großen Bogen um den Festplatz.



„Panscho“ kommt nach einer halben Stunde mit dem Dichtungsmaterial zurück und wickelt eifrig und unbeholfen einen Gummiklumpen um die Welle. Es tritt weiterhin Wasser ein, aber die Pumpe schlägt sich wacker und Timo bekommt ein Handtuch, Socken und einen Schnaps.

Wir verholen unser Boot bei Hochwasser ein paar Meter nach hinten und bändeln an 17 Tonnen belgischem Stahl an. Das Thema Trockenfallen hat sich für uns erstmal erledigt.

Schnell wird mit dem Yachtlub verhandelt, um baldmöglichst einen Termin für den nicht sehr Vertrauen erweckenden Slipwagen zu bekommen. Jetzt müssen wir doch in den sauren Apfel beißen und uns diesem Schrottgestell anvertrauen. Für den Preis von 500 US$! So können wir in Ruhe an Land den unnötigen Schaden einer verbogenen Welle und eines eventuell zerstörten Ölmotors beheben. Das hatten wir uns anders vorgestellt…

In halbminütigen Abständen reißt uns in der Nacht der automatische Bilgepumpen-Alarm aus dem Schlaf. Unsere Augenringe erreichen den größtmöglichen Durchmesser (mindestens Treckerreifen).

Am nächsten Tag gegen Abend wird bei Hochwasser auf Schienen der Slipwagen zu Wasser gelassen. Wir verzurren in zweistündiger Arbeit unser Boot an den verrosteten Seitenhalterungen des Wagens. Der für diese Aktion zuständige „Marinero“ Danny hat keine Ahnung, wie man die Spanngurte bedient, die sich auch noch als zu kurz herausstellen. Wir verlängern sie mit einer Leine, in der Hoffnung, dass diese das Gewicht unseres (mindestens) 6-Tonners + 2 Insassen halten wird. Der Slipwagen „torkelt“ Richtung Strand, als unser geschundenes Boot, bereits bis zur Hälfte des Kiels aus dem Wasser ragend, auf die Seite kippt. Schon wieder Schräglage!

Diesmal beweist der „Marinero“ mehr Geschick und schafft es mit einer zum Flaschenzug umfunktionierten Leine, das Boot wieder aufzurichten. Wir stabilisieren zusätzlich mit Mastfallen. Da es inzwischen stockdunkel ist, vertagen wir die Weiterfahrt (5 Meter) auf morgen und übernachten, mal wieder, auf dem Halbtrockenen.

Am 20.04. steht die Ultima endlich (halbwegs) sicher an Land, nach allen Seiten festgezurrt, um den starken Westwinden zu trotzen.



Endlich können wir in Ruhe die Schäden begutachten. Timo befürchtet einen Totalschaden (an Nerven und Boot) und lässt seinen Ärger lauthals bei „Panscho“ ab. Dieser fühlt sich durch all die berechtigten deutschen Flüche zutiefst beleidigt und in seinem Stolz verletzt (plötzlich versteht er etwas? Nein, kann nicht sein!). Wir sind der Meinung, dass er nun kostenfrei für den Ausbau der Welle zuständig ist, nachdem er diese total verbogen hat. Für weitere Reparaturarbeiten haben wir jegliches Vertrauen in ihn verloren. Haftpflichtversichert ist er natürlich nicht. Er macht sich also auf den Weg, um Werkzeug zu holen, wir warten…

2 Stunden später teilt er Sandra am Telefon mit, dass er jegliche Zusammenarbeit mit Timo ablehnt: „No mi gusto a trabajar con Timo“ („es gefällt mir nicht, mit Timo zu arbeiten“). Er ward nie mehr gesehen…sein Glück!!!



Wir bauen die Welle also selber aus, was sich plötzlich mit 30 Kilo Druck (und korrektem Ansetzen des Wagenhebers) als sehr einfach erweist. Wir haben nicht viel Hoffnung, die verbogene Welle reparieren zu lassen. Senor Castro holt sie am Samstagabend noch ab und will sein Glück versuchen.

In den nächsten Tagen erneuern wir sämtliche Lager und Dichtungen des Wellensystems. Außerdem verpassen wir an einem warmen Tag (8°C) unserem Boot einen neuen Antifouling- Anstrich. Danach schneit und stürmt es wieder. Glück gehabt. Auch die Teflon Buchsen am Ruder werden bei der Gelegenheit ausgetauscht.

Don Castro hat ganze Arbeit geleistet. Nach einer Woche montieren wir die Welle wieder und können endlich den Hydraulikmotor testen. Wir haben inzwischen entdeckt, dass der Ölmotor auf Antivibrationspuffern montiert war, die durch die Wagenheberaktion komplett zerstört wurden. Wenn wir viel Glück haben, wurde dadurch die Beschädigung der Zapfenwelle und des Motorinneren verhindert. Die ersten Tests an Land verlaufen erfolgreich. Jetzt müssen wir das Ganze im Wasser unter Belastung testen.

Am 03.05. rumpelt der Slipwagen auf den krummen Schienen wieder bergab. Ein letztes Mal den Atem anhalten und schon sind wir wieder im Wasser. Hier stehen wir mal wieder für 2 Stunden halbtrocken, bis die „Marineros“ ihre Siesta beendet haben und uns endlich ins tiefe, dreckige Wasser von Ushuaia zurückbefördern.

An den nächsten 3 Tagen werden Tests am Steg durchgeführt. Keine Probleme mit dem Antrieb – ein Wunder.

Wir wagen eine erste, dreitägige Testfahrt in den 10 Meilen entfernten Nationalpark und ankern in der idyllischen und geschützten „Bahia Lapataia“. Hier erholen wir uns bei böigem Wind und Nieselregen von den Strapazen.



Nachts wachen wir wegen kratzender Geräusche auf. Schliddern wir über Felsen, weil der Anker nicht hält? Nein, nur Eis, das unser neues Antifouling abkratzt (170 US$ pro 2,5l…).

Zurück in Ushuaia, bereiten wir uns auf die zweite Testfahrt vor: Kap Hoorn. Am 17.05. brechen wir auf nach Puerto Williams, um das „Zarpe“ (Genehmigung) für Kap Hoorn zu beantragen. Mit im Gepäck ist der holländische Rucksack- Reisende „Jouri“, Philosophiestudent auf Abwegen. Kaum Segel- Erfahrung, aber jung und unerschrocken. Auf den Testfahrt- Charakter der Fahrt weisen wir ihn vorsichtshalber hin.

Am Morgen des 21.05. starten wir bei halbwegs günstiger Wettervorhersage mit 20 - 25 Knoten Wind aus West. Wir segeln. Als der Wind im Laufe des Tages abnimmt, startet Timo den Motor. Der springt aber nicht an! Starterbatterie- oder Anlasserproblem? Timo, Meister des Improvisierens und Survivals, bekommt ihn schließlich zum Laufen. Das fängt ja wieder gut an.



Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir die Isla Lennox, wo wir an einer Boje der Armada festmachen. Hier warten wir die nächtlichen, südwestlichen Winde (30 Knoten) ab.
Per Funk holen wir zusätzlich zum Wetterfax von der Armadastation den aktuellen Wetterbericht für den nächsten Morgen ein: 10-15 Knoten aus Nordwest, gute Bedingungen für die Überquerung der Bahia Nassau.

Bereits in der Nacht lässt der Wind nach, so dass wir gegen 4 Uhr morgens auslaufen. Bei Südwest- Wind zwischen 5 bis 20 Knoten schaukeln wir unter Motor (ist ja schließlich eine Motor und Wellenlager-Testfahrt) über die Bahia Nassau.

Kurz vor Erreichen der Isla Wollaston nimmt der Wind ohne Vorwarnung schlagartig zu: Südwest 40 Knoten, in Böen mehr, direkt auf die Nase. Zum Glück sind wir durch die Insel vor großen Brechern geschützt. Doch wir stellen bald fest, dass wir unser geplantes Ziel, die noch 5 Meilen entfernte Caleta Martial auf der Isla Herschel, aufgeben müssen.

Das Wasser brodelt, der Wind brüllt, wir können den Kurs nicht mehr halten, treiben seitlich, Geschwindigkeit bei voller Kraft voraus: ein halber Knoten. Timo kämpft draußen mit dem Ruder, die elektrische Windsteueranlage schafft es nicht mehr. Jouri wird unter Deck verfrachtet. Wir kreuzen mit Maschine.

Einzige Möglichkeit: Ansteuerung der noch 2 Meilen entfernten, nicht im „Zarpe“ genehmigten Caleta Lientur, die nur bedingten (bei Ostwind keinen) Schutz bietet und für starke Fallwinde berüchtigt ist. Aber bedingter Schutz ist immer noch besser als gar keiner, also kämpfen wir uns fast 3 Stunden lang bis zum Eingang der Bucht vor.

Der CQR-Anker (22kg) fällt auf 16 Meter Wassertiefe – und slippt zweimal. Also befestigen wir einen zweiten Anker (Danforth mit 20kg) mit einer separaten Einholleine und 10 Metern Kette am Hauptanker und lassen die Kette rasseln. Fehler der Mannschaft: Die Einholleine verhakt sich an den Ankern, so dass diese sich nicht eingraben können.

Neuer Versuch bei 40 Knoten Wind, Regen und stockfinsterer Nacht. Zwischendurch hakt das elektrische Ankerrelais. Timo muss mal wieder ran: Überbrücken mit dem Schäkel- Öffner. Das kostet Zeit, aber die Finger werden warm.

Das Radar weist uns piepend auf den knappen Abstand zu der steilen Felswand hin. 3 begossene Pudel atmen erleichtert auf, als GPS und Radar eine stabile Position vermelden. In der Nacht läuft ein spannender Radar- Krimi. Nur „Tatort“ wäre aufregender gewesen.

Vernichtende Fallböen (Williwaws) pfeifen mit Torpedogeschwindigkeit durch die Bergeinschnitte und schleudern uns drei Tage lang durch die Bucht bis 30 Grad Schräglage beim ankern! Windhosen rasen durch Regenbogentore.



Gerne hätten wir die faszinierende Felslandschaft erkundet und die Pinguine besucht, doch wir verzichten aus Sicherheitsgründen auf einen Landgang (oder lässt sich ein fliegendes Beiboot steuern?). Früher lebten auf dieser Insel am Rande der Welt Yamana- Indianer, die riesige Muschelberge und Steinwerkzeuge zurückgelassen haben.

Abends lässt der Wind für ein paar Stunden nach, doch in der rabenschwarzen Nacht wagen wir uns nicht weiter in den unbekannten Süden vor.

Am zweiten Tag kracht es laut im Cockpit:
Monsterböe. Der letzte und heftigste Williwaw zerschmettert das Wasser und gleich 3 Flügel unseres sechsflügeligen Windgenerators und schleudert sie in Neptuns Reich (zum Glück nicht ins Fleisch). Ein Blick in die Hölle. 60 Knoten Wind oder 100? Unser Windanzeiger geht bis maximal 60 Knoten. Danach plötzlich Windstille.



Über SSB- Funk können wir mit „Puerto Montt Radio“ und der Armadastation der Isla Wollaston Kontakt aufnehmen, um unsere Position durchzugeben und aktuelle Wetterberichte zu erhalten. Unser Wetterfax informiert uns zusätzlich über die neuesten, deprimierenden Wetterlagen. Auch die „Patagonien-Netz“- Funkrunde (8164khz 0900Chilezeit) steht uns mit Wetterinformationen zur Seite. Einziges Problem: Alle Wetter- Quellen widersprechen sich.

Ein Blick aus der Luke genügt um festzustellen, dass uns in der dritten Nacht zunehmender Ostwind um die Nase weht. Das Bootsheck weist bedrohlich Richtung Land. Starker Schwell kommt in die nun völlig ungeschützte Bucht. Wir müssen hier schnellstmöglich verschwinden.
Aber wohin? Caleta Martial ist nach Osten ebenfalls völlig offen. Die einzige, nach allen Seiten geschützte Bucht in dieser Gegend, Caleta Maxwell auf der Isla Hermite, ist 13 Meilen entfernt. Die Ansteuerung dieser Bucht bei Nacht ohne jegliche Sicht bedeutet für uns ein zu großes Risiko. Zumal Anlasser oder Starterbatterie, oder Rasmus und Ankerwinsch nicht zuverlässig funktionieren. Das kostet Zeit, die wir im Ernstfall nicht haben. Der abendliche Wetterbericht über SSB ist nicht hörbar. Der Wetterfax- Ausdruck zeigt für die nächsten 12 Stunden südliche Winde bis max. 25 Knoten an. In den Bus sollten wir einsteigen.

Einstimmig beschließen wir, den Rückzug nach Norden anzutreten. Auf Wiedersehen Hölle.

Unsere südlichste Position: 55°43´S; 67°18`W.



65 Seemeilen, 12 Stunden Fahrzeit, Wind 20 – 25 Knoten SSW, starker Schneefall: Isla Wollaston (Hölle)- Bahia Nassau (Fegefeuer) –Puerto Williams (Paradies). Ankunftszeit Puerto Williams: 0815 Uhr lokal time. Fast die Hälfte der Fahrt schneit es und die Sicht reduziert sich auf wenige Meter. Das Radar arbeitet in dieser Nacht mehr als in den vergangenen zwei Jahren und Timo schwört, sich in Ushuaia eine Skibrille zu kaufen.

Natürlich sind die nächsten Tage absolut windstill. Die Sonne scheint auf uns herab und lacht. Hochdruckgebiet über Feuerland, Barometerstand 1035 mb.



3 Tage genießen wir die verschneite Idylle in Puerto Williams. Jouri begibt sich auf eine viertägige Schneeschuh- Wanderung über die „Dientes de Navarino“, die höchste Berggruppe der Insel. Er hat wohl genug vom Segeln. Doch bereits am ersten Abend kehrt er zähneklappernd wieder ins schwimmende Heim zurück, der Schnee war zu tief – und zu kalt…
Lernziel der Reisen über See und Schnee: Der Klügere gibt nach.

Am 28.05. kehren wir für 14 Tage nach Ushuaia zurück. Der Fleisch- und Dieselproviant wird aufgestockt. Außerdem wartet Arbeit auf uns: Ein deutsches Charter– Schiff steht im Trockendock und wünscht einen neuen Anstrich. Bei sehr winterlichen Arbeitsbedingungen (Schnee, Sturm, Minusgrade) schwingen wir den Schleifer und die Pinsel. Endlich mal wieder verdientes und nicht ausgegebenes Geld.

Bereits am 10.06. zieht es uns schon wieder nach Puerto Williams. Mit unserem amerikanischen Nachbarn Ken als Expeditionsleiter und anderen überwinternden Seglern unternehmen wir zahlreiche Wanderungen ins Hinterland von Navarino.

Verwilderte Pfade werden erschlossen,



Flüsse überquert,



Lagerfeuer- Würstchen gegrillt,



Biberdämme inspiziert, verlassene Militärbunker erobert und Kühe in die Flucht gejagt oder umgekehrt.



Die Tage sind kurz, die Zeit verfliegt. Seit dem 10.06. sind wir wieder in Ushuaia. Die Ski- Saison ist eröffnet.

Einige kleinere Wartungsarbeiten stehen noch an, die sich aber andauernd vermehren. Besonders die Feuchtigkeit lässt das Schiff leiden. In Backskisten, unter den Kojen und in anderen (besonders elektrischen) Ecken, gedeiht Schimmel und Pilz hervorragend.
Eine gute Heizung haben wir - manchmal. Grüsse an Eberspächer und die dumm dreinblickenden Kunden.

Während Timo schuftet, vergnügt sich Sandra mit der Französin Sandrine im städtischen Schwimmbad. Herrlich, aber auch hart erarbeitet, denn Voraussetzung war der Besuch beim Fußpilz- Doktor!
Nach dreistündiger Wartezeit im zugigen Wartezimmer wurden Hand- und Zehenzwischenräume eines kleinen Blickes gewürdigt, um jeglichen Pilzbewuchs auszuschließen. Dann noch 1 Stunde argentinische Bürokratie und ein Passbild, bis der ersehnte Schwimmpass den Eintritt ermöglichte. Dieser Pass kostet 15 Peso (knapp 4 €) und ist einen Monat gültig. Dann heißt es erneut: Fußpilz- Kontrolle!

Wir erwandern den Gletscher Martial in den Bergen von Ushuaia.



Auch ein Museumsbesuch steht an: Das „Museo Maritimo & Museo del Presidio“.
Für 10 US$ erhalten wir einen Einblick in das Leben der Strafgefangenen im Jahre 1920. Zu Hochzeiten wurden hier 800 Insassen untergebracht, bis das Gefängnis 1947 geschlossen wurde.
Neben dem Besuch der Zellen werden in dem weitläufigen Gebäude verschiedene Ausstellungen angeboten, die einen interessanten Einblick in die Geschichte der Region und die Erforschung der Antarktis geben. Außerdem sind zahlreiche maßstabsgetreue Modelle berühmter Schiffe und Bilder einheimischer Maler zu bewundern.

Fehlende Seekarten für die chilenischen Kanäle und den Pazifik werden kopiert. Für alle Fälle lichten wir auch die Hawaii Karten von unserem Ami- Freund Ken ab, da wir mit dem Gedanken spielen, über Hawaii nach Alaska zu segeln. Vorausgesetzt, wir bekommen unser Heizungsproblem in den Griff. Was wäre der Mensch ohne Träume…



Wir haben ein Arbeitsangebot auf einem Charterschiff für diese Saison erhalten und mit dem Gedanken gespielt, unseren Aufenthalt in Feuerland zu verlängern. Winterpause am Beagle Kanal. Bedenkpause.



Inzwischen haben wir uns für die Weiterfahrt entschieden. Der Pazifik ruft. Somit besteht unser nächstes Ziel darin, gegen Wind, Schnee und Eis durch die chilenischen Kanäle Richtung Norden zu schippern: Gletscher, patagonische Weite, Puerto Montt, Valdivia.

Diese Reise wird mindestens zwei Monate dauern, fernab jeglicher Zivilisation (Städte, Steaks, Diesel, Ersatzteile, Internet…).

Seit 2 Wochen pfeift der Wind unaufhörlich durchs Gebälk. Vor einigen Tagen hat uns eine 60 Knoten- Böe nachts das Beiboot umgekippt, die beiden Paddel gestohlen und den Außenborder getauft.
Den folgenden Tag haben wir damit verbracht, den Außenborder wieder zum Laufen zu bringen und neue Ruder zu besorgen.
Es ist kompliziert bis unmöglich, ohne Motor und Paddel an Land zu kommen. In Ushuaia gibt es im Winter an jeder Ecke Skier zu kaufen, aber Paddel sind Mangelware. So geht die Zeit ins Land.
Nach einer Woche erhalten wir vom Yachtclub die Information, dass die alten Paddel wieder aufgetaucht sind. Erfreuliches Strandgut für unser Ersatzteillager.

Wann es losgeht? Gestern, morgen, in 2 Wochen. Wenn wir und das Boot wieder seetauglich sind. Und wenn der Wind uns lässt.



P.S.: Es ist schön hier!

2 Kommentare:

At 28.8.07, Anonymous Anonym sagte...

Hallo Ihr beiden,
Mann, ihr erlebt ja Abenteuer, da kommt man ja nicht mal mit, wenn man welche sucht! Übrigens, wußtet ihr, daß sich Wartungs- und Reparaturarbeiten vegetativ vermehren? Wir schreiben gerade eine Doktoarbeit darüber!
Ohne Scheiss: Außenborder braucht ihr für Ausflüge, aber nicht fürs Ankern und Landleinenmanöver. Dauert viel zu lange bis der AB einsatzbereit und an ist und ist an den Felsen gefährdet. Geht alles problemlos (meist) mit Paddeln. Aber nehmt bloß Ersatzruder/paddel fürs Dingi mit. Oder Bastelmaterial. Wir haben zwei verloren.
Schicken Euch die Tage noch ein paar Infos.
Liebe Grüße, Martin + Anke
aus San Pedro, hier gibts Salz, aber garantiert (fast) kein Wasser (Atacama-Wüste)

 
At 12.9.07, Anonymous Anonym sagte...

Wreck o´hoy! How are the ultimas doing.. this is the olegs speaking, olegs from ragnarok...REMEMBER??"!?!? Have a nice day, see you in the pacific! claus

 

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